(Festrede vom 22.04.06) Die KUPF – Kulturplattform OÖ feierte am 22. April 2006 das Jubiläum ihres 20-jährigen Bestehens. Kulturrat-Vorstandsmitglied Martin Wassermair war eingeladen, eine kulturpolitische Festrede beizutragen.
Liebe KUPF, liebe KUPF-Mitgliedsvereine,
geschätzte Festgäste,
ich vermute, dass an diesem Abend noch viele Erinnerungen und Anekdoten die Runde machen werden. Aus diesem Grunde ergreife ich hier nun in den nächsten Minuten die Gelegenheit, ein paar grundsätzliche Überlegungen anzusprechen, um zumindest für diese kurze Zeit gegen die Festlaune zu bürsten.
Vor allem aber möchte ich Sie und euch alle einladen, die Welt, die auch die KUPF umgibt, als eine globale Wirklichkeit zu betrachten, die auf Regionalitäten oder gar Landesgrenzen schlichtweg keine Rücksicht nimmt. Dabei erlaube ich mir den Hinweis, dass selbst das uns allen vertraute Gallische Dorf nur deshalb ist, was es eben ist – im stets auf den Kopf gestellten Kosmos des Historien-Comics -, weil es uns seine Stärke und seine Bedeutung in erster Linie durch das Kräftemessen mit dem Römischen Imperium und den vielfältigen Erscheinungsformen der antiken Globalisierung erklärt.
Aus einer ähnlichen Perspektive muss man sich auch dem Phänomen der KUPF annähern: Deren Gründung als kulturpolitische Organisation fällt vermutlich nicht zufällig in das Jahr 1986. Dieses Jahr – mit den symbolischen Kennzeichen der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten und dem politischen Aufstieg Jörg Haiders – ist geradezu signifikant für das Aufeinanderprallen zweier Realitäten in der Geschichte dieses Landes, die an den Kampf des David gegen den Goliath erinnern – wobei uns das alt-testamentarische Ergebnis bislang vorenthalten bleibt.
Denn 1986 wie auch heute erscheint jeder Versuch nahezu machtlos, gegen eine politische Kultur anzutreten, die über viele Jahrzehnte verweigert und verdrängt, sich in einer Festung einigelt und dabei an sich selbst erstarrt.
1986 bedeutete im Grunde eine schwere Niederlage für jedes Aufbäumen, das von einem Glauben an eine Erneuerung in Gesellschaft, Kultur und Politik getragen war.
Und auch gegenwärtig ist es geradezu erdrückend festzustellen, dass der Geist der Gegen-Reformation offenkundig Jahrhunderte überdauern kann, dass Solipsismus und Chauvinismus (etwa im Slogan: „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen!“) sowie der Abwehrkampf gegen alles Fremde in die höchsten Ränge einer angeblichen Kulturnation gehoben werden.
Schlechte Zeiten demnach für alle Bemühungen, die sich der Aufklärung verpflichtet fühlen. Die Verdunkelung erhält den Vorzug, die Suche nach dem Licht – um bei diesem kulturgeschichtlichen Bild zu bleiben – braucht weiterhin Überzeugung, Ausdauer und Beharrlichkeit.
Kaum jemand hat diese Einsicht derart schonungslos auf den Punkt gebracht wie der bekannte österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse in seinen Texten zum „Land ohne Eigenschaften“.
Für Menasse stellt sich die historische Marke 1986 als ein Fluchtpunkt dar, „wo die verdrängte Wahrheit sich endlich zeigt“. „Wenn von der Bevölkerung etwas nicht verstanden wird“, so schreibt er, „gibt es bekanntlich zwei Möglichkeiten: Man beginnt aufzuklären oder zu liquidieren.“ Dazu gibt der Autor ein Beispiel, das nunmehr auch Kunst und Kultur ins Blickfeld rückt: „Wenn von der Bevölkerung nicht verstanden wird, warum Künstler die Gesellschaft kritisieren, von der sie leben, dann kann man versuchen aufzuklären, oder man beginnt, deren Werke zu verbieten, zu verbrennen und am Ende auch die Künstler selbst zu liquidieren.“
Und dennoch: Die KUPF hat seit diesem Jahr 1986 ihren Platz eingenommen, sie ist gewachsen und damit auch an Erfahrungen reicher. Sie hat Position bezogen und sich eingemengt.
Der Weg ist nicht immer leicht gewesen, denn zu den Erfolgen gesellen sich naturgemäß auch Rückschläge und Zweifel. Was aber auch im Falle der KUPF letztlich zählt, ist das Festhalten am Prinzip, sich mit der kulturpolitischen Denk- und Willensanstrengung nicht in die Kuschelecken der Privatsphäre zu bequemen, sondern in den Politischen Raum zu treten, diesen ein Stück weit zu beanspruchen, und sich der Privatisierung zu widersetzen.
„Jeder Konformismus kündigt den Totalitarismus an“, warnt der italienische Philosoph und Publizist Paolo Flores d’Arcais, den ich an diesem Abend alleine schon deshalb zu Wort kommen lassen möchte, weil er sehr genau weiß, wovon er mittlerweile unermüdlich schreibt.
Das System Berlusconi – und als solches möchte ich es bezeichnen -, hat mit der Abwahl seines Hauptdarstellers als Ministerpräsident noch keineswegs ein Ende gefunden. Vor allem aber darf Europa, dürfen die Demokratien und auch wir die Augen nicht davor verschließen.
Mit einer historisch beispiellosen Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Medienmacht hat dieses System Berlusconi nicht nur die Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit zur Unkenntlichkeit unter Druck gesetzt, gebeugt und deformiert. Es hat vor allem auch eine Monopolherrschaft der Massenmedien eingerichtet, mit dem Ziel, die öffentliche Meinung zu unterwerfen, einen neuen Analphabetismus zu etablieren und die Menschen folglich ihrer Fähigkeiten zu berauben, sich politisch gegen diese Machtauswüchse zu entrüsten.
Besonders brisant wird diese Entwicklung aber – und deshalb erwähne ich das auch heute Abend -, wenn selbst Intellektuelle, also auch Kunst- und Kulturschaffende, sich diesem System nicht mehr verweigern. Gleich ob im Multimedia-Theater, im Hollywoodfilm oder in der zunehmenden Flut der Kreativwirtschafts- und Event-Inszenierungen unserer Zeit – der Wettstreit der Künste ist allgegenwärtig, die Ressource Aufmerksamkeit schließlich eine heiß begehrte Ware.
„Die Front“, stellt Paolo Flores d’Arcais also fest, „verläuft im Inneren, innerhalb der Demokratie selbst: und innerhalb der demokratischen Prozeduren. Durch die Kultivierung des Konformismus eben.“ Längst steuern einstmals demokratische Gesellschaften dem Abgrund entgegen. Politik – und das erleben wir allgegenwärtig – stellt sich als Bestandteil des Marktes zunehmend in den Dienst eines neoliberalen Paradigmas, nämlich in dem Sinne, dass nun auch die Politik als elementarer Sektor des Marktes auf Show, Entertainment, Desinformation und Täuschung basiert.
Täuschung und Desinformation manifestieren sich uns auch sehr eindrucksvoll, wenn wir fast täglich dazu aufgerufen werden, in den „Kampf der Kulturen“, in den „Krieg der Zivilisationen“ zu ziehen. Gerade zu Beginn dieses Jahres hat die weltweite Aufregung um den so genannten Karikaturenstreit die Debatte um Samuel Huntingtons „Clash of Civilizations“ sowie um das Verhältnis des Westens zum Islam neu entfacht.
Medien – und darüber muss man insbesondere in Österreich nicht allzu viele Worte verlieren -, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie filtern die Informationen und beeinflussen das Bewusstsein der Menschen – mit allmählich fatalen Folgen.
Je mehr im Zuge der ökonomischen Globalisierung und einer tief greifenden Umstrukturierung fast aller Gesellschaftsbereiche die Standortfrage der Produktion zum medialen und unmittelbar lebensnahen Brennpunkt wird, desto mehr werden auch Ängste geschürt und kulturelle Differenzen politisch aufgeladen.
Migrantinnen und Migranten finden im Info-Boulevard von Kronen Zeitung, NEWS und ORF fast ausnahmslos im Zusammenhang mit Straftaten oder in der Abbildung bunt-schillernder Folklore Beachtung. In beiden Fällen sind Zerrbilder, Stereotype und rassistische Stigmatisierung Ton angebend, was wiederum in aller letzter Konsequenz tatsächlich dazu führt, dass immer öfter – im Großen wie im Kleinen – in den Krieg gezogen wird.
In diesem Zusammenhang findet auch Robert Menasses Fluchtpunkt, „wo die verdrängte Wahrheit sich endlich zeigt“, geradezu bedrohliche Aktualität. Seine Deutung müsste lauten: Wenn von der Bevölkerung nicht verstanden wird, dass Menschen nach Österreich kommen, weil sie sich in einem der reichsten Staaten der Welt das Grundrecht auf ein Leben abseits von Verfolgung, Perspektivlosigkeit und Armut erhoffen, dann kann man versuchen aufzuklären, oder man beginnt, restriktive Gesetze zu beschließen, die Schubhaft in erschreckendem Ausmaß anzuwenden und in letzter Konsequenz – und die vergangenen Tage haben uns das erneut vor Augen geführt – zu misshandeln und zu liquidieren.
Und was hat das alles mit der KUPF zu tun?
Die Notwendigkeit der KUPF ist alleine schon deshalb unbestritten, weil die Welt, die sie umgibt, ihre Existenz erfordert. Es gibt kein Quick-Instant-Rezept, das sich – noch dazu handlich und gebrauchsfertig – zur Lösung aller Probleme und Krisen unserer demokratischen Gesellschaften so einfach verteilen lässt.
Aber es gibt die KUPF. Sie wird daran erinnern, dass Gesellschaften – und damit auch ihre kulturellen Produktionsbedingungen – nur als frei zu betrachten sind, wenn Grundrechte und Mobilität der Menschen sowie der Austausch von Kulturgütern, Wissen und Information keine Beeinträchtigung erfahren.
Die KUPF wird unablässig darauf hinweisen, dass der weltweite Trend zur Überwachungs- und Kontrollgesellschaft nicht ein Mehr an Sicherheit bedeutet – wie man uns insbesondere seit September 2001 glauben machen will -, sondern gegenwärtig zu den ganz besonders Besorgnis erregenden Entwicklungen zählt, von der nicht zuletzt das kritische Kunst- und Kulturschaffen massiv betroffen ist. Oberösterreich bildet in diesem Zusammenhang keine Insel der Seligen.
Es gibt die KUPF, die nicht dem „lieben Silvio“ zu einer bevor stehenden Wahl alles Gute wünscht, sondern dem System Berlusconi eine kämpferische Absage erteilt, indem sie unter anderem die Politik dazu ermahnt, eben in Politik ausreichend zu investieren. Gemeint ist damit selbstverständlich nicht die Erhöhung der finanziellen Selbstausstattung der in den Parlamenten vertretenen Parteien, als vielmehr die Sicherung der kommunikativen Grundlagen eines demokratischen Gemeinwesens im Informationszeitalter. Dazu zählen Kultur- und Medieninitiativen, die nicht nur als Veranstaltungsräume in den Regionen und Ballungszentren von größter Bedeutung sind, sondern auch in ihrer Funktion als Informations- und Artikulationskanäle.
Die KUPF wird die Kriegslust im Geschrei des „Kampfes der Kulturen“ entlarven und ins Bewusstsein rufen, dass hinter der Absicht, ökonomische, politische und soziale Konflikte einer ethnischen Differenzierung zuzuschreiben, sich die eigentliche Intention verbirgt, die tiefen Risse innerhalb unserer westlichen Kultur zu verschleiern. Sie wird das Unbehagen bei dem Begriff „Kultur“ schon alleine dadurch ein klein wenig entkräften können, indem sie unter einer selbstbestimmten Deutung des Begriffs den Verteilungskonflikten innerhalb Oberösterreichs, Österreichs und Europas entgegen tritt – also der anwachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, der rasanten Prekarisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche sowie der Missachtung der in der Verfassung verbrieften Gleichstellung von Mann und Frau.
Und nicht zuletzt wird die KUPF auf die Gefahr hinweisen, dass das öffentliche Interesse – immerhin eine konstitutive Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie, Pluralismus und Gewaltenteilung – durch eine immer stärkere Verlagerung der Verfügungsgewalt über die Informationssphäre übervorteilt wird. Hier muss die KUPF schließlich wachsam bleiben, denn Macht und Machtausübung von Morgen entscheiden sich schon heute bei der Erteilung von Nutzungsrechten sowie über die Festlegung technologischer Standards in Medien und Telekommunikationsstrukturen – den wichtigsten Domänen der Kunst und Kultur der Zukunft.
„Die KUPF“, schreibt André Zogholy in der Jubiläumsfestschrift, „bewegt sich und agiert in einer Sphäre des Politischen.“ Ihre Arbeit richte sich – neben den Service-Aufgaben und dem Engagement für die Verbesserung von Rahmenbedingungen – „gegen die klassische Organisationsform von Kirchen und Parteien.“ Die Frage des Politischen wird – und hier tritt Mikropolitik als öffentliches Dementi in den Konflikt mit der Makropolitik der großen Einheiten – in der Differenz zum Hegemonialen festgemacht. Im Hinblick darauf hat die KUPF ihren Modellcharakter allemal bestätigt. Für die weitere Zukunft bin ich daher voller Zuversicht.
Der Kosmos des von mir eingangs erwähnten Gallischen Dorfes ist bekanntlich auf den Kopf gestellt. Die KUPF steht in der Welt, die sie umgibt, nach zwanzig Jahren auf beiden Beinen. Mit Magie und übernatürlichen Kräften ist auch weiterhin nicht zu rechnen. Ich möchte daher zum Schluss nochmals meinen Appell wiederholen, den ich der KUPF auch in der Festschrift mitgegeben habe: „Es genügt nicht, mit den Füßen bloß zu stampfen. Wer nach vorne will, muss nach vorne treten und an die Konfliktlinien zurück!“
In diesem Sinne wünsche ich heute noch ein berauschendes Fest und der KUPF in der Welt, die sie umgibt, ein langes Leben!
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