(Zeitung 2006) Herausforderungen taktischer Netz- und Medienkultur. Sarah Schönauer
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Wenn Software sozial wird und Copyright-Regime Medienpolitik machen, dann haben wir eine relativ exakte Beschreibung der derzeitigen Situation. Was passiert, wenn taktische politische Medien in die falschen Hände geraten, und welche Rolle spielen hierbei Netzkulturknoten? Eine entscheidende, weil das Netz das einzige Medium ist, in dem grundsätzlich jeder Mensch seine Meinung äußern kann und dessen Inhalte mehrheitlich von den NutzerInnen produziert werden. Noch.
Gesellschaftliches Produktionsmittel
In den 1990er Jahren – zu Zeiten des Web 1.0 – waren Netzkulturknoten primär Plattformen, die die Nutzung und Mitgestaltung des Mediums Internet als gesellschaftspolitische Notwendigkeit ansahen und einen Raum dafür boten, sich die Mittel und das Wissen für diesen Zweck anzueignen. Das Ziel war klar formuliert: Mediale Besetzung und Mitgestaltung der Netze; Kampf für freie Informationsräume und größere politische Mitgestaltungsmöglichkeiten; Schaffung eines politischen Raumes, in dem Meinungsaustausch und Wissensaneignung keinen Widerspruch bilden, eines Raumes, in dem die selbstständige Weiterentwicklung der Fähigkeiten mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten einhergeht. Das Netz ist in dieser Sichtweise ein gesellschaftliches Produktionsmittel im Kontext politischer Meinungsbildungsprozesse.
In diesem Sinne sind Netzkulturknoten ein Experimentalraum für ein erweitertes politisches Engagement, das aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten und der damit verbundenen Partizipationsmöglichkeiten weit über das Nationalpolitische hinausgeht. Bedingt durch den Stellenwert der zur Verfügung stehenden strukturellen und technologischen Möglichkeiten, die in erheblichem Ausmaß die Nutzungspotenziale bestimmen, stellt das Engagement für freien Informationszugang einen zentralen Aspekt dar, der durch die technologischen und medienpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Kampf darum ist allerdings härter geworden und hat sich von einer inhaltlichen Ebene noch stärker auf eine strukturelle verschoben. Es geht zunehmend um die Anwendung selbst, viel mehr als um die Inhalte. Denn jede technologische Weiterentwicklung, die die gesellschaftspolitischen Nutzungsmöglichkeiten des Netzes verbesserte und/oder erweiterte, machte das Netz zugleich auch immer gefährlicher für Politik und Wirtschaft, die ihre bestehenden Systeme der Gewinnerwirtschaftung und parteipolitischen Meinungsproduktion bedroht sahen.
Medienpolitik unter dem Diktat politischer und wirtschaftlicher Interessen
Die Medienkonzerne und ihre Lobbykampftruppe gingen eine unheilige Allianz mit der Politik ein. Das Ziel war eindeutig: die Nutzung des Netzes und damit die Informationen selbst zu kontrollieren. Die Mittel waren vielfältig: rechtliche Maßnahmen, die zur Einschränkung persönlicher Freiheiten dienen, die Aufweichung von Grundrechten und Datenschutzbestimmungen, die rechtliche Verfolgung von Einzelpersonen sowie der Einsatz von technologischen Mitteln zur Überwachung der NutzerInnen. Darüber hinaus verstärkten die Copyright-Regime ihren Einfluss auf die Politik, um über den Missbrauch legistischer Mittel ihre veralteten Distributionsmechanismen sicherzustellen. Denn die UserInnen nutzten im Gegensatz zu den Medienkonzernen die technologischen Potenziale und passten sie an ihre Bedürfnisse an. Somit sah sich die Content-Industrie mit einer Entwicklung konfrontiert, die sie nicht aufholen konnte oder wollte und die sie in erhebliche Schwierigkeiten brachte. Die eher verzweifelte Reaktion war der Versuch, die Nutzung netzspezifischer Mittel wie Filesharing einzuschränken und zu kriminalisieren. Bestehende technologische Gegebenheiten und strukturelle Versäumnisse lassen sich jedoch auch mit legistischen Mitteln nicht rückgängig machen.
Die Politik ist kein Opfer, sondern zieht aus dieser Entwicklung noch großen Nutzen. Das Wissen um die Aktivitäten und Meinungen der BürgerInnen und die mögliche und angewendete Kontrolle der Meinungsbildung sind ein gutes Geschäft. Medienpolitik war immer schon ein Zusammenspiel politischer und wirtschaftlicher Interessen. Im Zuge der Copyright-Debatte hat das jedoch ein Ausmaß erreicht , das mit rationalen Maßstäben nicht mehr nachzuvollziehen ist. Das Netz wird hier als taktisches politisches Medium missbraucht.
Software mit demokratiepolitischer Funktion?
Als ob das nicht genug wäre, gefährden zudem noch so genannte neue technologische Errungenschaften das Netz als demokratiepolitischen Raum: Das Web 2.0, das für das neue Zeitalter des Netzes und seine sozialen Möglichkeiten steht. Man mag es gar nicht glauben, aber sogar die Software ist mittlerweile sozial. Ist die Arbeit der Netzkulturknoten damit hinfällig, da die Software selbst eine demokratiepolitische Funktion impliziert? Web 2.0, das ist die wirtschaftskompatible Form der inhaltlichen Partizipation, abhängig von nicht transparenten strukturellen und technologischen Gegebenheiten. New Economy bedeutet hierbei Gewinnerwirtschaftung durch das Outsourcing der Content-Produktion auf die UserInnen. Bizarr, aber wahr. Der Fokus wird hier gezielt auf die erweiterten technologischen Anwendungsmöglichkeiten gelenkt, die darin liegen, dass eine Community mitbestimmen kann, was publizierbar ist und was nicht. Man könnte auch vom kleinsten gemeinsamen Nenner sprechen, aber wer will schon so kleinlich sein. Welcher Inhalt ist wichtig und welcher nicht? Wer ist diese Community, wer bestimmt, wer an dieser Community teilnehmen darf und wer nicht, und wie sehen die dahinterliegenden technologischen Faktoren aus? Das heißt, wer kontrolliert hier wen? Man weiß es meist nicht so genau. Technologische Möglichkeiten zur Ablenkung von inhaltlichen Aspekten. Technologie als Conven-ience-Produkt.
Medienpolitik für freie Information und offene Zugänge
Sollen wir alle nun auf ein Upgrade auf das Web 3.0 warten? Mitnichten. Denn Medienpolitik hat sich zu einem machtpolitischen Kampf entwickelt, bei dem es um immer mehr geht: Um unsere Grundrechte, die im Kampf um Quartalsgewinne und populistische Meinungsproduktion nicht nur aufs Spiel gesetzt, sondern verpfändet werden. Es bedarf einer Medienpolitik, die erkennt, dass freie Information, offene Zugänge zu Infrastruktur und die Wahrung der Meinungs- und Informationsfreiheit grundlegende demokratiepolitische Rechte sind, die auch und besonders im Bereich des Internets zu schützen sind. Grundrechte dürfen nicht basierend auf strategischen ökonomischen Zielsetzungen verletzt und unterwandert werden. Eine verantwortungsvolle, zeitgemäße Medienpolitik hat dementsprechend die Aufgabe, nicht mehr in alten Systemen zu denken, sondern Medien als das zu begreifen, was sie sind: Netzwerke, deren Funktionieren von vielfältigen Knotenpunkten abhängig ist. Medienpolitik heißt heute auch Sicherung gesellschaftspolitischer Interessen im Bereich der Softwareproduktion, der Infrastruktur, bei Datenschutz und Copyrightfragen, der Wissensvermittlung und Sicherstellung einer unabhängigen Infrastruktur. Eine Demokratie darf es nicht zulassen, dass Monopolinteressen der Content-Industrie zur Grundlage der Medienpolitik werden. Das mag ein naiver Wunsch sein, aber wir haben das Recht, dies zu verlangen. Auch in Zeiten des Web 2.0 werden Netzkulturknoten als wichtige Plattformen und Akteure für ihre Zielsetzungen weiterarbeiten und das Netz nicht denjenigen überlassen, die es zum Konsummedium verkommen lassen. Solange wir online sind, werden wir dieses Recht einfordern.
Sarah Schönauer ist Vorsitzende von subnet – Plattform für Medienkunst und experimentelle Technologien.