(Rechercheprojekt 2006) Durchgeführt von Juliane Alton im Auftrag von Kulturrat Österreich und IG Freie Theaterarbeit.
Das Sozialversicherungssystem in Deutschland fußt auf dem Prinzip der Versicherungspflicht. Für selbständige KünstlerInnen und PublizistInnen bietet die Künstlersozialkasse eine günstigere Sozialversicherung. Die KSK-Versicherten bezahlen nur 50% der Beiträge in allen Versicherungszweigen. Die andere Hälfte leisten VermarkterInnen und der Staat.
Das Sozialversicherungssystem in Deutschland fußt auf dem Prinzip der Versicherungspflicht (im Gegensatz zur Pflichtversicherung [1]) für Erwerbstätige bzw. für Arbeitgeber/innen. Es ist relativ strikt geregelt und gilt als teuer, da die Leistungen praktisch nur über die Beiträge finanziert werden und kaum über Steueranteile wie z.B. in Österreich oder in der Schweiz.
Die Sozialversicherung knüpft an der Erwerbsarbeit an, wobei sich die Relation zwischen Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden so verändert hat, dass in den letzten Jahren starke Leistungseinschränkungen dekretiert wurden (Stichwort Agenda 2010) und weitere diskutiert werden. Die Vereinheitlichung des Versicherungswesens für unterschiedliche Berufsgruppen ist nicht soweit fortgeschritten wie z.B. in Schweden: Neben den großen Gruppen von Angestellten und Selbständigen gibt es noch spezielle Regelungen für Beamt/innen, aber auch für Bergknappen (!) und selbständige Künstler/innen.
Für Angestellte sind alle folgenden Versicherungszweige verpflichtend, für Selbständige alle außer der Arbeitslosenversicherung:
- Krankenversicherung (je nach Kasse ca. 14,7 %)
- Rentenversicherung (19,5%)
- Unfallversicherung (unterschiedliche Träger, ab 200 Euro im Jahr)
- Arbeitslosenversicherung (6,5 %)
- Pflegeversicherung (1,7 %)
Dies ergibt einen Anteil von über 42% am Bruttogehalt, wenn nicht noch Extraverpflichtungen dazu kommen. [2] Selbständige haben etwas über 35% ihres Einkommens als Soziaversicherungsbeiträge abzuführen. Für sie gibt es keine Möglichkeit, sich in der öffentlich-rechtlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern.
Die Künstlersozialkasse (KSK) wurde 1981 gegründet, nachdem im Auftrag der Bundesregierung bereits 1975 die Arbeits- und Lebenssituation der selbständigen Künstler/innen ausführlich erhoben und beleuchtet worden war. Es hat sich „eine besondere Schutzbedürftigkeit der selbständigen Künstler und Publizisten“ ergeben, die heute kaum mehr bestritten wird. [3] Ihre wirtschaftliche und soziale Situation sei jener von Arbeitnehmer/innen vergleichbar, da sie auf die Mitwirkung von Vermarkter/innen angewiesen seien, um ihre Werke und Leistungen den Endabnehmer/innen zugänglich zu machen wirtschaftliche Abhängigkeit). Der speziell organisierte Versicherungsschutz knüpft an den wirtschaftlichen Gegebenheiten an, nicht etwa an einer „sozialen Bedürftigkeit“ der Künstler/innen.
Die Säulen dieser Form der Versicherung sind:
- Die KSK-Versicherten bezahlen vergleichbar den Arbeitnehmer/innen nur 50% der Beiträge in allen Versicherungszweigen
- Die Vermarkter/innen leisten einen Beitrag, der an der Summe der von ihnen bezahlten Honorare an Künstler/innen und Publizist/innen anknüpft (30 % der Beiträge) [4]
- Der Staat leistet einen Beitrag (derzeit fix 20% der Beiträge)
Für Berufsanfänger/innen gelten besondere Regeln. [5] Wer als selbständige/r Künstler/in oder Publizist/in zwischen 3.900,- Euro (Untergrenze gilt nicht für Berufsanfänger/innen) und 40.500,- Euro im Jahr verdient, ist auf Antrag in der KSK versichert, die günstigere Beiträge verrechnet als andere Versicherer. Im Rahmen der Beitragsüberwachungsverordnung [6] werden seit 1995 die Versicherten (und auch die Zahler/innen der Verwerterabgabe) durch die KSK überprüft: vor allem dahingehend, ob das vorab geschätzte Einkommen mit der Realität übereinstimmt. Der KSK geht es dabei auch darum, KSK-Versicherte, die z.B. aus dem künstlerischen Beruf herausgewachsen sind, zu finden und die Beitragszahlung für diese einzustellen. Weiters sucht sie nach Verwerter/innen, die noch keine Abgabe bezahlen. Durch die Überprüfung hat sich in der Praxis für die Versicherten nichts geändert. Laut KSK schätzen die Versicherten ihre Einkommen ziemlich genau ein (viele orientieren sich dabei an ihren letzten Steuerbescheiden). Selten werden Versicherte aus der KSK ausgegliedert wegen Unterschreitung des Mindesteinkommens oder Änderung der beruflichen Lebensumstände, manchmal gibt es Korrekturen der Beitragshöhe. Im Gegensatz zum System in Österreich dürfen Versicherte zweimal in fünf Jahren die Einkommensuntergrenze unterschreiten, ohne dass hieraus Nachteile entstünden. [7]
Es gibt aber niemals Rückforderungen bereits geleisteter Beiträge der KSK oder eine Aufrollung der Zahlungen. Entsprechend einem bereits 1989 definierten Grundsatz des deutschen Sozialrechts, gibt es keinerlei rückwirkende Entscheidungen mehr, da der administrative Aufwand der Nachverrechnungen die Sozialversicherungsverwaltung zu erwürgen drohte. Mit diesem Grundsatz fahren sowohl der Staat als auch die Versicherten gut, weil für beide die Rechts- und Planungssicherheit gestiegen ist und der bürokratische Aufwand kräftig vermindert werden konnte.
Fußnoten:
[1] Versicherungspflicht: Es besteht die Verpflichtung, sich zu versichern, doch gibt es Wahlfreiheit bezüglich des Versicherers, sofern dieser einen bestimmten Standard gewährleistet. Die Pflichtversicherung regelt im Gegensatz dazu wer sich wo zu welchen Bedingungen versichern muss.
[2] Angestellte Schauspieler/innen an großen Häusern sind um weitere 9% in der Versorgungsanstalt deutscher Bühnen pflichtversichert. Kinderlose zahlen zusätzlich 0,25%.
[3] Bericht der Bundesregierung über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland vom März 2000
[4] Derzeit gilt in allen Branchen ein Beitragssatz von 5% der Honorarsummen.
[5] Insbesondere jene, dass Berufsanfänger/innen die Einkommensuntergrenze während der ersten fünf Jahre ihrer künstlerischen Berufstätigkeit nicht zu erreichen brauchen.
[6] Deutsches BGBl I S 2972 vom 13. Oktober 1994
[7] Dies könnte auch in Österreich ein möglicher Lösungsansatz für Probleme bei Nichterreichen der erforderlichen Mindesteinkommensgrenze (z.B. aufgrund von Krankheit oder Stipendien) sein.
Wichtigste Quellen:
- Kunz, Survival Kit für Freie Theater, Oldenburg, 2005
- Läubli, Kunz, Alton: Freie Theater über Grenzen, Bern, 2005
- Bericht der Bundesregierung über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler, Berlin, 2000
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