(Offener Brief vom 25.10.02) Welchen gesetzlichen Auftrag erfüllt der ORF mit seiner Werbekampagne?
Fragen von Interessierten und Anfrage an Beteiligte
- An das Kunst- und Medienressort der österreichischen Bundesregierung, an das Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsressort der österreichischen Bundesregierung, an die Kultur- und Mediensprecher/innen der Parteien, an die Klubs der österreichischen Parlamentsparteien, an den Kulturausschuss des österreichischen Parlaments, an den ORF, den ORF-Stiftungsrat, den ORF-Publikumsrat und die österreichischen Rundfunkbehörden
In einer noch nie dagewesenen Werbeaktion mit Großflächenplakaten, mehrseitigen Inseraten, Eigenwerbungen und einer an alle RundfunkteilnehmerInnen verschickten Hochglanzbroschüre behauptet der ORF von sich, „Kultur pur“ bzw. sogar „Nur Kultur pur“ zu produzieren und zu senden.
Noch vor wenigen Wochen hat derselbe ORF aus angeblichen Sparnotwendigkeiten und Erfolgsdruck, Kunst- und Kultursendungen (im Fernsehen „kunst-stücke“, im Hörfunk „Scala“) aus seinem Programm gestrichen und darüber hinaus die Hörspielhonorare für AutorInnen um die Hälfte gekürzt.
Wir, als die an diesen Entwicklungen Interessierten, fragen uns und Sie, als mit dieser Materie Befasste, welchen gesetzlichen Auftrag der ORF mit seiner Werbekampagne erfüllt? Kommt er damit seiner gesetzlichen Informationspflicht nach? Gibt es einen gesetzlichen Auftrag des ORF, über seinen eigenen Bereich und über Programmankündigungen hinaus über sich selbst zu informieren?
Es wäre darüber hinaus für uns von größter Wichtigkeit zu erfahren, welche Kosten (inklusive Kompensationsgeschäfte) diese Werbekampagne dem ORF verursacht und in welchem Verhältnis diese Kosten z.B. zu den Einsparungseffekten bei den Hörspielhonoraren für AutorInnen stehen. Auch Auskünfte in Detailfragen wie, warum nur die Autorenhonorare, nicht aber die Schauspiel- und Regiehonorare der sonstigen Mitwirkenden an Hörspielen gekürzt wurden, würden uns bei der Gewinnung von Erkenntnissen wesentlich weiterhelfen. Schließlich könnten auch Auskünfte über u.a. folgende rechtliche Einzelheiten unseren Informationsstand erheblich verbessern: Wie kann der ORF, der ein Werk vom Manuskript weg produziert, die Produktion eines solchen Werks ohne Einräumung des Rechts für die Rundfunkdramatisierung als Hörspiel vornehmen? Kann er es, weil ihm die AutorInnen das Recht dazu kostenlos einräumen?
Auch geht aus der Formulierung „Nur Kultur pur“, mit welcher der ORF seine Produktions- und Sendetätigkeit darstellt, nicht ganz klar hervor, ob er sich damit auf einen kulturpuristischen Standpunkt stellt und alle anderen Sendungen, außer denen, die er der Kultur widmet (es sind nicht viele und die Zeit dafür ist knapp bemessen), zu keinen Kultursendungen erklärt, oder ob er nur das von ihm in seinen Kultursendungen Gezeigte für Kultur und das von ihm nicht Gezeigte für keine Kultur hält. Wäre es so, dass der ORF nur das von ihm Gezeigte für Kultur hält (die Zeit ist knapp bemessen, die Beiträge sind nicht viele) und das von ihm nicht Gezeigte für keine Kultur, ergäbe sich daraus womöglich eine Kollision mit dem Objektivitätsgebot des ORF. Wäre es so, dass der ORF das Wenige an Sendezeit für Kultur vom Vielen an Sendezeit für keine Kultur unterscheiden möchte, bestünde womöglich eine Nichterfüllung des Kultur- und Bildungsauftrages des ORF.
Ganz hervorragend wäre deshalb natürlich, könnten wir über diese nur ungefähren Angaben hinaus erfahren, wieviel fixe Kultursendezeit der „Nur Kultur pur“-Sender ORF heute im Vergleich zu früheren Jahren in seinem Programm hat, wieviel er sie sich kosten lässt und welche Sendungen er überhaupt für Kultursendungen hält. Wir nehmen gerne Auskünfte über sowohl die anteiligen als auch absoluten Sendezeiten und Budgets entgegen und harren in gespannter Erwartung Ihrer Antwort.