(Zeitung 2006) Eine Aufforderung zur Neudefinition eines Dinosaurier-Begriffs. Veronika Leiner
(zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Der Staat Österreich musste immer schon dazu gezwungen werden, sich auf den Weg aus der medienpolitischen Steinzeit zu machen. Das war 1993 schon so, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das österreichische Rundfunkmonopol als menschenrechtswidrig verurteilte und damit zu Fall brachte. Und das ist im Fall der Freien Radios so, deren Existenz offiziellerseits immer noch eher geduldet wird, denn als tatsächlich relevanter Beitrag zu Medien- und Meinungspluralismus in Österreich wahrgenommen – und entsprechend unterstützt – zu werden. Mittlerweile sind bundesweit zwölf Freie Radios auf eigenen Sendefrequenzen on air, aktuell nutzen über 2500 Radio-MacherInnen den offenen und diskriminierungsfreien Zugang zu Sendeflächen und damit die Möglichkeit, Radiosendungen zu gestalten und auf diesem Weg ihre Themen, Inhalte und Meinungen zu transportieren.
Meinungsvielfalt und kulturelle Diversität
Dennoch kommt der Staat Österreich – wie aus einem Bericht des Europarats hervorgeht – im Fall der Freien Radios bisher seiner „Pflicht, Meinungsvielfalt und kulturelle Diversität der Medien zu garantieren“, nicht nach: Eine gesetzliche Anerkennung oder auch nur eine geregelte öffentliche Förderung Freier Radios gibt es in Österreich nach wie vor nicht. Nun stellen aber – wie in zahlreichen Dokumenten europäischer Institutionen bekräftigt – Meinungsäußerungsfreiheit und Medienvielfalt die Grundsäulen der europäischen Demokratien dar. Darüber hinaus haben Staaten diese Freiheiten nicht nur zu garantieren, sondern bei Fehlentwicklungen des Marktes aktive Schritte zu ihrer Durchsetzung zu unternehmen. Freien Radios bzw. Freien Medien oder Community Media allgemein kommt aufgrund des offenen Zugangs zum Medium, den sie ermöglichen, in diesem Zusammenhang eine einzigartige und besonders wichtige Rolle zu: Sie sind diejenigen Medien, welche die Erfüllung des im Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Rechts auf aktive Meinungsäußerungsfreiheit gewährleisten. Und damit erfüllen sie de facto einen öffentlich-rechtlichen Auftrag.
Der Offene Zugang zum Medium Radio (und Fernsehen) unterstützt die politische Partizipation der EinwohnerInnen und die gesellschaftliche und sprachliche Integration unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen. Die Freien Radios sind Plattformen lokaler Kultur- und Kunstproduktion, sind Motoren der Regionalentwicklung und eine nichtkommer-zielle publizistische Ergänzung der lokalen Berichterstattung. Sie sind Initiatoren innovativer Projekte und nicht zuletzt niederschwellige Lernorte für Medienkompetenz in der Informationsgesellschaft. Diese Leistungen erbringen die Freien Radios im – siehe oben – gesamtgesellschaftlichen Interesse. Da-raus lässt sich ein spezifischer öffentlich-rechtlicher Auftrag ableiten, den der Gesetzgeber explizit anzuerkennen und entsprechend zu finanzieren hat.
Standard einer entwickelten Demokratie
Eine kommerzielle Finanzierung – über Werbeeinnahmen – ist für die Freien Radios weder prinzipiell noch realistisch möglich. Einerseits ist die Werbefreiheit eines der Grundprinzipien in der Charta der Freien Radios. Sie soll die Gestaltung eines Programms sicherstellen, das von kommerziellen Verwertungsinteressen unabhängig ist. Andererseits wäre eine Durchformatierung des Programms, wie bei kommerziellen Privatsendern üblich und für den Verkauf von Werbezeiten nötig, angesichts der schieren Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Redaktionsgruppen und Sendungen realistisch gar nicht umsetzbar. Genau daraus ergibt sich aber die Verpflichtung des Staates, aktiv fördernd tätig zu werden. Sowohl zahlreiche Empfehlungen auf europäischer Ebene als auch die Förderpraxis in fast allen „alten“ EU-Ländern – Deutschland, Frankreich, Irland, den Niederlanden, den skandinavischen Ländern und seit kurzem auch Großbritannien – und in der Schweiz verdeutlichen, dass Förderungen für Freie Radios mittlerweile zum Standard einer entwickelten Demokratie gehören.
Nicht so in Österreich: Nachdem das Bundeskanzleramt – Sektion Kunst bzw. Abt. Volksgruppenförderung zwischen 1998 und 2000 zumindest Projektförderungen an die Freien Radios ermöglicht hatte, wurden diese Subventionen 2001 ersatzlos gestrichen. Angesichts der Tatsache, dass Medien in Österreich grundsätzlich in die Bundeskompetenz fallen, erscheint auch die Argumentation des zuständigen Staatssekretärs unausgegoren: Nachdem es sich bei den Freien Radios um Lokalradios handle, mögen doch die Länder und Kommunen für deren Finanzierung sorgen. Was – u.a. aus oben genanntem Grund – nur bedingt geschah: Während etwa in Linz (Radio FRO 105.0 MHz) sowohl Stadt als auch Land den Finanzierungsausfall zumindest teilweise ausglichen, musste Radio MORA, das für die kroatische, ungarische und Roma-Minderheit im Burgenland sendete, seinen Betrieb ganz einstellen. Radio PROTON hält sich mit einer jährlichen Finanzierung von ein paar tausend Euro erstaunlicherweise noch immer im westlichsten österreichischen Bundesland, das in Sachen Medienkonzentration nicht zu überbieten ist. Die Ausnahme von der Regel stellt aktuell Wien dar, wo im März 2006 von den Fraktionen der SPÖ, ÖVP und der Grünen die Zweckwidmung für Mittel aus dem Kulturförderbeitrag zu den Rundfunkgebühren für alternative und neue Medienprojekte wie Orange 94.0 oder Okto TV beschlossen wurde. Bei allen regionalen Unterschieden bleibt die finanzielle Situation der Freien Radios aber davon geprägt, dass Basisfinanzierungen fast überall fehlen und der laufende Betrieb im wesentlichen über Projektgelder von Ländern und Gemeinden finanziert – und damit immer nur kurzfristig abgesichert wird.
Sicherung einer pluralistischen Radiolandschaft
Angesichts dieser unbefriedigenden Situation und der bevorstehenden Nationalratswahlen hat der Verband Freier Radios Österreich im Mai 2006 ein „Förderungsmodell zur Sicherung einer pluralistischen Radiolandschaft in Österreich“ veröffentlicht, in dem er genau das fordert, was im westlichen Europa bereits zum Standard gehört: die Anerkennung des offenen Zugangs zum Freien Radio als öffentlich-rechtliche vulgo Dienstleistung im Interesse der Allgemeinheit und den daraus sich ergebenden Anspruch auf ausreichende öffentliche Finanzierung.
Rund 35 Prozent der Gelder, die als Rundfunkgebühren eingehoben werden, gehen nicht an den ORF, sondern fließen – großteils nicht zweckgewidmet – in das allgemeine Bundesbudget. Die Freien Radios Österreich fordern von der neuen Bundesregierung die Einrichtung eines Freie Radios-Fonds aus diesen Gebührengeldern bei der Rundfunkbehörde KommAustria. Dieser Freie Radios-Fonds muss zur Deckung des Finanzierungsbedarfs für den offenen Zugang bei angestrebten 15 Freien Radios in Österreich mit jährlich zumindest 6 Mio. Euro gespeist werden.
Eine neue österreichische Bundesregierung hat nach den Nationalratswahlen im Oktober die Möglichkeit, die Versäumnisse der vergangenen Jahre durch entsprechende gesetzliche und finanzielle Regelungen zu kompensieren und an die medien- und demokratiepolitischen Standards in der Europäischen Union anzuschließen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Chance wahrgenommen wird.
Veronika Leiner arbeitet im Verband Freier Radios Österreich (VFRÖ)