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Es herrscht eine Politik der Spaltung

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(Zeitung 2006) Ein Interview mit Belinda Kazeem (Projektmitarbeiterin beim Verein Schwarze Frauen Community SFC) und Sibel Öksüz (Initiatorin und organisatorische Leiterin des Vereins KULTimPORT)

Das Interview führten Sylvia Köchl und Vina Yun

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Mit welchem Begriff von „Kultur“ arbeitet ihr und warum ist es für euch interessant, euch insbesondere im Kulturbereich zu engagieren?

Sibel Öksüz (SÖ): Kultur in Österreich zu definieren ist schwierig, gerade in diesem Jahr bedeutet „österreichische Kultur“ die Bewahrung von Hochkultur – Mozart & Co. kann ich schon nicht mehr hören. Aber mit unserem Engagement wollen wir vor allem von dieser Opferrolle der MigrantInnen weggehen und davon abkommen, dass sich sehr viele auch abkapseln und nur in der eigenen Community bleiben – das gilt aber auch für „Einheimische“. Uns ist es wichtig zu zeigen, dass es selbstverständlich ist, dass sich in einem Land wie Österreich die Kulturen oder Nationen vermischen. Unser Name ist ein Wortspiel: KULT-im-PORT, wie der Hafen – wir sehen uns als einen Hafen, wo die Kulturen und Projekte andocken.

Belinda Kazeem (BK): Mein Begriff von Kultur ist ein ziemlich breiter und weiter, für mich sind es alle Formen des Ausdrucks. Es gab ein Projekt von SFC mit Klub Zwei, wo in und entlang der Straßenbahnlinie D großformatige Plakate mit politischen Forderungen hätten angebracht werden sollen, aber das war den Verantwortlichen dann doch zu politisch. Die Plakate wurden nur entlang der D-Linie angebracht. Ein anderes Projekt, in das SFC involviert ist, ist die Schwarze Recherchegruppe, die sich für das Projekt „Remapping Mozart – Verborgene Geschichten“ gegründet hat und bei der es darum geht, schwarz-österreichische Geschichte zu schreiben und uns selbst zu Expertinnen zu machen. Wir wollen unsere Geschichten erzählen und damit auch unsere Bilder präsentieren – eben nicht fremd-, sondern selbstbestimmt, weg vom Exotismus und der StellvertreterInnenpolitik. Da liegt für mich auch die Wichtigkeit oder das Interessante an der Kulturproduktion, dass man die Möglichkeit hat, sich selbst zu präsentieren, um seinen Standpunkt zu zeigen, was gerade jetzt in der Zeit des Wahlkampfs, in der wir als Gruppe der „MigrantInnen“ instrumentalisiert werden, besonders wichtig ist.

Welche Vorteile bietet die Strategie, politische Forderungen über den Kunst- und Kulturbereich zu transportieren?

BK: So gut und absolut notwendig es ist, eine Demo oder eine Pressekonferenz oder eine Podiumsdiskussion zu organisieren – ich glaube, dass man durch Plakataktionen, wie z.B. die Zusammenarbeit zwischen SFC und den Künstlerinnen von Klub Zwei „Arbeiten gegen Rassismen“, wiederum ein anderes Publikum erreicht. Mir gefällt die Vorstellung, dass jemand, der Vorbehalte gegen MigrantInnen als Gruppe und gegen Einwanderung hat, für ein paar Minuten bei einer Straßenbahnhaltestelle steht und ein Plakat anschauen muss mit expliziten politischen Forderungen von Schwarzen Frauen. Es ist eine Möglichkeit, andere Leute zu erreichen, mit anderen Mitteln; dieses Belehrende, Erklärende funktioniert auch nicht immer. Ich glaube, man kann sich da gegenseitig gut ergänzen.

Sind während eines Wahlkampfs bzw. vor Wahlen die Chancen größer, Geld für eure Projekte zu bekommen?

: Es ist leider eine Tatsache, dass PolitikerInnen vor Wahlen ein größeres Gehör haben. Da gibt’s dann halt auch die Sondermittel. Und man hat eher die Chance, Projekte zu verwirklichen. Das wissen sehr viele Institutionen und setzen bewusst die Signale stärker.

BK: Auch wenn mein Fokus nicht ganz derselbe ist, gebe ich dir da absolut Recht. Für mich ist es absolut wichtig, die Gegenstimmen zu hören. In den Nachrichten wird einem Strache oder Westenthaler eine Plattform geboten, um ihre hetzerischen Sprüche loszulassen, aber du siehst nicht die Leute, die dagegen arbeiten, du siehst nicht die Betroffenen, über die gesprochen wird. Deshalb ist es für mich gerade in so einer Zeit besonders wichtig, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich wundere mich auch, wie man dasselbe Rezept immer wieder anwenden kann und es funktioniert: Finde einen Buhmann – jetzt sind’s Moslems, vor ein paar Jahren waren es AfrikanerInnen. Das finde ich auch ganz interessant, dass anscheinend jede für jede einsetzbar ist.

Was erwartet ihr euch von einem Regierungswechsel?

: Nach der letzten Regierungsbildung hat sich ja sehr viel verändert in der Kulturlandschaft, was die Finanzen angeht. Es ist vieles schlimmer geworden, zum Beispiel durch den Integrationsvertrag. Dass sich da ganz schnell was ändern sollte, ist klar. Ob dann das, was an Gesetzen eingeführt wurde, auch wieder reduziert wird, oder ob dann nicht wieder alles beim Alten bleibt…

BK: Ich frage mich auch, was sich dann wirklich verändert. Wir haben gesehen, dass auch die SPÖ bereit ist, Gesetze zu unterschreiben, die absolut restriktiv sind. Das ist eine Frage, die für mich offen bleibt. Egal, wie sich diese Regierung dann zusammenstellt, unsere Stimme ist wichtig, weil wir mit dem leben müssen, was bei den Wahlen rauskommt. Ich glaube schon, dass die Politik von z.B. Rot-Grün viel ändern würde, aber ich weiß nicht, ob man dann der österreichischen Bevölkerung sagt, dass Zuwanderung okay ist, wenn man weiß, dass die Mehrheit der Bevölkerung das nicht mitträgt. Man will ja schließlich wieder gewählt werden.

Wie wichtig war für euch das Jahr 2000? In der mehrheitsösterreichischen Linken hat sich damals sehr viel getan, für viele war es eine Art Aufbruch oder Zäsur.

BK: Für mich persönlich waren das die ersten Demos, wo ich auf die Straße gegangen bin und ich mir gedacht habe, jetzt ist es genug. Von diesem anfänglichen Widerspruch ist jetzt nur eine sehr kleine Stimme zurückgeblieben, was aber nicht nur damit zusammenhängt, dass Leute eingeschüchtert sind, sondern auch, dass eine Politik entwickelt worden ist, die dafür sorgt, dass die Gruppen gespalten werden. Wenn nur der einen Gruppe Fördergelder gegeben werden, kann man sich abputzen und sagen, wir machen eh was. Die anderen bekommen keine Förderung, die Selbstorganisationen zum Beispiel, weil es dem Staat lieber ist, dass er mit Organisationen wie der Caritas arbeitet. Insofern glaube ich, dass es eine „gute“ Strategie der Regierung war, Gruppen zu teilen, die sich eigentlich schon solidarisiert haben.

: Da ja MigrantInnen auch keine homogene Masse sind, haben sich bestimmte Gruppierungen sehr stark gemacht. Ich sage mal, regierungsnahe migrantische Organisationen sind, seit es diese Regierung gibt, viel stärker und präsenter geworden. Man sieht dann schon, wohin die Gelder fließen, wohin die Unterstützung geht. Es tut mir leid, dass auch ich solche Ausdrücke verwenden muss, aber das sind für mich die Quoten-Alis, die machen den anderen die Schulter frei, weil „eh“ etwas getan wird. Hauptsache „Migranten“, das ist ja für sie anscheinend alles das gleiche. Aber unter den MigrantInnen selber gibt es viele Spaltungen, es ist ja nicht so, dass alle MigrantInnen eher links oder neutral sind, es gibt leider auch in Österreich sehr viele Organisationen, die schon im Herkunftsland in die rechte Richtung gehen und das hier weiterführen. Ich finde es traurig, dass man da nicht unterscheiden kann. Aber bei den Gemeinderatswahlen auch bei der FPÖ einen türkischstämmigen Kandidaten zu sehen, hat mich umgeworfen.

BK: Es gibt auch unter MigrantInnen Hierarchien, es gibt sichtbare Minderheiten, es gibt die Forderung nach Schutz und Respekt für sichtbare Minderheiten. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich in der allgemeinen Mehrheitsgesellschaft untertauchen kann oder ob ich so sichtbar bin wie eine schwarze Frau oder eine Frau mit Kopftuch, und das wird auch so gegeneinander ausgespielt. In den 1960ern und 1970ern wurden TürkInnen und JugoslawInnen eingeladen herzukommen und zu arbeiten und waren – nicht als Personen, aber als Arbeitskraft – willkommen. Deshalb denken manche, sie hätten mehr Recht darauf, hier zu sein als die, die letztes Jahr gekommen sind und schwarz sind. Das finde ich besonders schlimm, denn eigentlich sollte der/die gemeinsame GegnerIn klar sein.

Wie sieht euer Verhältnis zu mehrheitsösterreichischen Feministinnen aus? Gibt es hier auch Hierarchien?

BK: Ich lasse nicht zu, dass alles in einen Topf gehaut wird – „wir Migrantinnen“, „wir Frauen“. Die Realität einer Schwarzen Frau ist eine andere Realität als die einer weißen Frau, es ist eine andere Form der Unterdrückung. Ich sehe halt auch diese StellvertreterInnensache, dass weiße Feministinnen gerne für migrantische Frauen sprechen und sie nicht selbst zu Wort kommen lassen. Und wenn man nicht einverstanden ist mit den Grundlagen des westlichen Feminismus, hört man oft, „naja, ein bisschen rückständig“, „nicht genug aufgeklärt“ oder „die lassen sich halt unterdrücken“.

: Ich habe manchmal das Gefühl, dass weiße Feministinnen durch Migrantinnen wieder etwas haben, das sie verwenden können, um sich zu positionieren und sich in den Vordergrund zu stellen. Damit hab ich auch ein großes Problem. Ich sage, wir sind stark genug, wir haben selbst eine laute Stimme. Das heißt nicht, dass wir mit der Mehrheitsgesellschaft nichts zu tun haben wollen, es soll ja eine Vermischung stattfinden, aber nicht im Sinn von „die-se armen Migrantinnen“, sondern wir wollen mit dem Selbstverständnis auftreten, dass wir gleichgestellt sind.



Links

www.kultimport.com
www.schwarzefrauen.net

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Moduls fields of TRANSFER, das die IG Kultur Österreich im Rahmen der Equal-Entwicklungspartnerschaft WIP – work in process durchführt.

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