(Offener Brief vom 6.11.2007) Gegen die Zensur des künstlerischen Projekts „hellwach – bei Gewalt an Frauen“ im Rahmen der internationalen Tagung „10 Jahre österreichische Gewaltschutzgesetze“, veranstaltet von Frauenministerin Doris Bures gemeinsam mit Innenminister Günther Platter.
Sehr geehrte Frau Ministerin Bures!
Äußerst besorgt nehmen wir zur Kenntnis, dass ein künstlerisches Projekt der Künstlerinnen Carla Knapp und Angela Zwettler „hellwach – bei Gewalt an Frauen“ im Rahmen der internationalen Tagung „10 Jahre österreichische Gewaltschutzgesetze“ wenige Tage vor Beginn der Tagung von Ihrem Ressort zensiert wurde und die Ausstellung in der Folge zur Gänze abgesagt wurde. „Zwei Arbeiten (Bild und Text) wurden als nicht ministrabel’ eingestuft“, so die Künstlerinnen. Eine schriftliche Absage oder Begründung liegt nicht vor.
Eines der zwei zensierten Sujets zeigt eine muslimische Frau vor dem Hintergrund einer österreichischen Kleinstadt mit dem Untertext: „Wir fordern einen autonomen Aufenthaltsstatus für Migrantinnen! Sie sind sonst rechtlos der Gewalt durch den Ehemann ausgesetzt.“ Was daran ist inkriminierend – ist es nicht vielmehr ein äußerst wichtiger Hinweis in der aktuellen Debatte um die Humanisierung des Bleiberechts, dass Frauen einen eigenen Aufenthaltstitel erhalten müssen? Verfolgt man die Debatte in den Medien, trifft für verheiratete Frauen von den zehn bislang angedachten Kriterien lediglich das der Familienzugehörigkeit zu und sie werden so strukturell erneut in ihrem Aufenthaltsstatus benachteiligt.
Das zweite Sujet zeigt eine abstrakte Figur mit dem Text: „Viele Frauen und Mädchen sitzen zu Hause in der Falle“. Die Künstlerinnen haben angeboten, den ursprünglichen Text „Vergewaltiger wir kriegen dich“ durch „Vergewaltiger wir wehren uns“ zu ersetzen. Sollen sich Frauen etwa nicht wehren dürfen?
Das ist die politische Ebene. Doch hier handelt es sich um Kunst. Kunst, für die das Gebot der Freiheit gilt. Kunst, die von Ihrem Ressort als Politik gelesen wurde, nicht als Kunst, nicht einmal als künstlerische Intervention, die sich zu 100% im Rahmen der demokratischen Verfassung bewegt. Das Kunstverständnis Ihres Ressorts fällt hinter die Aufklärung zurück: Selbst Schiller konnte gespielt werden trotz seiner aufrührerischen Inhalte, weil seine Dramen als Kunst rezipiert wurden und nicht als Politik. Und zwar im 18. Jahrhundert! Künstlerische Beiträge zur brisanten und nach viel zu langem Schweigen enttabuisierten Thematik Gewalt an Frauen sind ein wichtiges Medium, um hierfür nicht nur endlich eine öffentliche Sprache, sondern auch Bilder und installative Visualisierungen zu finden, und zwar solche, die Frauen nicht mehr auf Objekt- und Opferrolle festlegen, sondern sie im und durch das Medium der Kunst emanzipieren helfen.
In diesem Kontext wirkt die Zensur einer so mutigen und sensiblen wie selbstbewussten künstlerischen Stellungnahme zu einem so schwierigen Thema nicht nur besonders kränkend, unverständlich und in jedem Fall skandalös, sondern sie ist eine Katastrophe. Sie ist es nicht nur dem Grunde nach, weil überhaupt die Kunst frei sein dürfen muss, sondern weil hier ein sehr mühsames und bedachtes Ringen um eine mögliche Form in einem brisanten Kontext aus Angst vor einer möglichen Freiheit nicht zugelassen wird.
Es ist deutlich an der Zeit NEIN zu sagen – nein zu solcher Zensurpraxis und zu solcher Politik.
Information zum Kunstprojekt hellwach – bei Gewalt an Frauen“