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Freiheit in Kunst und Kultur?

  • von

(Zeitung 2006) Eine prekäre Angelegenheit. Sabine Kock

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Du sagst Faschismus, das ist komisch, ich habe das noch nie gehört als Wort für ein privates Verhalten, nein, verzeih, ich muß lachen, nein ich weine bestimmt nicht.
(Ingeborg Bachmann: Der Fall Franza)

Freiheit in Kunst und Kultur ist eine mehrfach prekäre Angelegenheit – auch ganz unabhängig von ihren gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen:

Prekär sind die Arbeits- und Lebensumstände in allen Sparten der sogenannten „freien“ Kunst. Kurzfristige Wechsel zwischen Selbstständigkeit, projektweiser Beschäftigung und immer wieder dazwischenliegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit machen Kunst und Kultur in der Arbeitswelt gegenwärtig zu einer seltsam erprobten Avantgarde der wachsenden Prekaritäten im Kontext von globalen Entwicklungen und Aufweichungen der Sozialstandards westlicher Industrienationen. Denn in der (freien) Kunst war schon längst Realität, was jetzt immer mehr Segmente des Arbeitsmarkts betrifft: Die Einkünfte erlauben nur selten eine kontinuierliche soziale Absicherung der Existenz. Die viel beschworene Freiheit des künstlerischen Tuns steht dazu im eklatanten Widerspruch: Mühsam muss vielmehr die Zeit fürs „Eigentliche“ dem täglich notwendigen (Selbst-)Management abgerungen werden.

Prekär ist jedoch auch der künstlerische Prozess in seinem innersten Kern: Stets bleibt die Kunst ein Risiko, ein Wagnis mit offenem Ausgang, dessen Gelingen nicht vorab garantiert werden kann. Genau dieses Wagnis macht sie jedoch aus, die Freiheit der Kunst, die keine unbefangene naive ist, sondern eben eine im Innersten prekäre, zutiefst selbstkritische, notwendig reflexive. Der Zugang zu Themen, Formen, Besetzungen, Genres, Spannungsfeldern kann dabei ebenso prekäre Elemente enthalten wie der künstlerische Arbeitsprozess und/oder hierarchisierende oder egalitäre Formen der Zusammenarbeit.

Inhaltlich bestimmt Katharina Pewny die Darstellung von Traumatisierungen, Genderproblematiken sowie Darstellungsformen der Prekarisierung der Arbeits- und Lebenswelt im Bereich des Performativen als gegenwärtig zentral.

Erst als Drittes prekär können darüberhinaus die politischen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen künstlerischer Arbeit sein. Inwieweit sich in dieser Frage prekäre Spezifika ausmachen lassen für die gegenwärtige Situation in Österreich, motiviert die folgenden Ausführungen.

„Lebt und arbeitet in Wien“…

Im Jahr 2000 bestimmte manifeste nationale Reformation im Rechtsbündnis und der sichtbare, hörbare, merkbare Widerstand die Nation: Widerstand wurde im Einzelfall vom Rektorat der Universität indirekt mitfinanziert, vom Bürgermeister mit einem abendfüllenden Buffet auf dem Cobenzl belohnt, und zumindest in einigen Abteilungen der Ministerien lancierten die MitarbeiterInnen geradezu subversiv avancierte Projekte. „Kein Auftritt und medialer Raum für die Rechtspartei“ lautete damals die Devise. Elfriede Jelinek folgte mit dem Aufführungsverbot ihrer Stücke der Tradition Thomas Bernhards, Hubsi Kramar besuchte in seiner legendären „Inszenierung“ als Hitler den Opernball, Lisl Ponger dokumentierte die Demonstrationen auf Riesen-Fotografien, der Milena Verlag gab das Widerstandsbuch heraus, eine engagierte Sammlung kritischer Texte verschiedener Sujets und Genres von Frauen, und: KünstlerInnen waren überhaupt mitten im Herz des Protests. Das war im Jahr 2000 und auch noch 2001.

Dann kam die Wahl 2002 mit dem bestätigenden Ergebnis und danach änderte sich – nicht schlagartig, sondern schleichend – das grundsätzliche Gefüge kritischer Öffentlichkeit: Der Protest ermattete, Schwarzblau wurde Alltagsrealität, erhielt zunehmend Medienpräsenz – und mittlerweile ist alles normal, sprich alltäglich geworden. Die internen Abschüsse und Rotationen, Ortstafelstreit und offene Rassismen werden als Kavaliersdelikt berichtet, und damit verkehrt sich der entlarvende Charakter, den solche Formate medial ja haben können (und damit in Einzelfällen sogar zum Anlass juridischer Auseinandersetzungen werden), zu einer wirkungsästhetischen general affirmation: Alles wird berichtet und auch das eigentlich Außerordentliche wird nunmehr konnotiert als Normalität. Wir leben hier in einem Land, in dem nicht nur das öffentlich propagierte Klima der Ausländerfeindlichkeit (Integrationsstudie) und allgemeinen Kontrolle und Vernaderung alltägliche Selbstverständlichkeit ist, sondern wo die Auswirkungen dieses sich offensiv vortastenden Klimas bereits in Legislative (Asyl-, Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht), Judikative (Operation Spring) und Exekutive (praktizierte Abschiebungen nach der Verschärfung des Aufenthaltsrechts bei binationalen Ehen) manifest geworden sind.

Subversive oder subtile (Selbst-)Zensur und „Theater in Zeiten des Krieges“

Kunst und Kultur sind davon nicht ausgenommen: Der erfolgreiche Protest gegen die Vereinnahmung der Diagonale blieb ein Einzelfall, und es ist auch singulär, wenn Catherine Deneuve die Seebühne verlässt, weil sie nicht mit dem Kärntner Landeshauptmann gemeinsam auf einer Veranstaltung auftreten will. Dabei herrscht in Österreich keine Zensur: Christoph Schlingensief kann im Burgtheater Bambiland inszenieren als öffentlichen Angriff auf die „heilige“ bürgerliche Familie und deren Verquickung mit den aktuellen und historischen Kriegsszenarien – gerade mal ins Abonnement werden derartige Veranstaltungen nicht aufgenommen. Jelinek wird also eh wieder gespielt.

Fundamentalopposition wird kaum sichtbar. Der Widerstand gegen die Vereinnahmung der österreichischen LiteratInnen im sogenannten Austrokoffer wurde mit einem Umwegprojekt nationaler Repräsentanz unterlaufen. Gegen den erlahmten Protest nationaler Couleur nahm sich der erste Protest gegen die Wiener Theaterreform – dort wo die Hoffnung auf partizipative und integrative Kommunikation das kulturpolitische Klima bestimmen sollte – sichtbarer aus, doch auch dieser ist gegenwärtig im Stadium einer dissoziativen Lähmung und verschärften Konkurrenz der Freien Theaterszene angelangt. In Bund und Stadt herrscht ein kulturpolitisches Klima der Lähmung und subtilen Selbstzensur: Konzeptive Arrangements im Situativen bestimmen das Bild der kulturpolitischen Erneuerung.

Verdrängung im Rekurs auf kulturelles Erbe?

Gegenwärtig im Jahr 2006 sind die toten Seelen, die in Österreich mit achtstelligen Summen umarmt werden, solche aus historisch unbedenklichen Zeiten: Wolferl und Sigmund – wenn zweiterer budgetär auch weit abgeschlagen – verdrehen in der Festwochenwerbelinie die Augen. Das kulturelle Erbe unbefangenerer Zeiten wird von Albertina bis Alternativszene selbstironisch reflektiert, neu sortiert und in den aktuellen Bearbeitungen erneut kanonisiert, während Peter Sellars die Ränder der Welt kontrapunktisch ins Zentrum der budgetären Hochkultur hievt.

Avancierte Ausnahmen bilden dabei luzide Einzelfälle und wirken doch zum Teil bemüht. Engagierte Institutionen sind zählbare Inseln – und auch die Interessengemeinschaften sind involviert bzw. betroffen in diesem Gesamtprozess subtiler Selbstzensur als öffentliche FördernehmerInnen und zumindest indirekte PartizipatorInnen kulturpolitischer Fördertrends: Wir agieren im permanenten Spagat öffentlich kritischer Bezugnahme und gleichzeitig praktizierter Sachpartnerschaft mit den Institutionen. Dabei bleibt die Gratwanderung zwischen Engagement und (un-)vermeidbaren Wiederholungen, symbolischen Kolonisierungen im Protest stets ebenso heikel wie die Grundsituation des Mitgehangen, das betrifft neben kritischem Gedächtnis auch unverdächtigere Themenbereiche. Die kulturpolitische Gegenwart ist mehrfach prekär und wir sind mitten darin.

Das vorliegende Projekt ist ein Versuch, diesen Prekaritäten in einem öffentlichen Begehren nach (einem anderen) Diskurs zu begegnen.


Sabine Kock ist Geschäftsführerin der IG Freie Theaterarbeit und derzeit Vorsitzende des Kulturrat Österreich