(Zeitung 2006) Sozialversicherung für KünstlerInnen im Vergleich. Juliane Alton
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Schweden
Schwedens System der sozialen Sicherheit knüpft an Erwerbstätigkeit an und erfasst alle, die sich legal in Schweden aufhalten und ein Jahreseinkommen ab 9.500 Kronen (1.031,- Euro) erzielen. Die Pflichtversicherungen kostet für Angestellte 32,28% des Bruttogehalts, für Selbstständige 30,71% des Einkommens und umfasst Pensionsversicherung, Elternversicherung (Kinderbetreuung: 80% des Gehalts, Elternurlaub ist zu teilen), Krankenversicherung (Krankengeld für alle), Hinterbliebenenversicherung und Unfallversicherung. Die Arbeitslosenversicherung ist keine gesetzliche Versicherung. „Arbeitswillige“ Erwerbsarbeitslose ab 20 Jahren haben Anspruch auf eine (sehr niedrige) Grundabgeltung. Wer ein einkommensbezogenes Arbeitslosengeld beziehen will, muss sich einer (meist gewerkschaftlich organisierten) Arbeitslosenkassa anschließen. Auch Selbstständige können dies tun.
Probleme für KünstlerInnen resultieren vor allem aus der Art, wie Behörden die Gesetze (in Bezug auf Sozialversicherung, Arbeitslosigkeit, Steuer etc.) aufgrund mangelhafter Kenntnis der Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen anwenden. Im Bereich des Theaters haben die Vereinigung der Theaterinstitutionen und die Organisation der Freien Theaterschaffenden das so genannte Alliansmodell geschaffen: eine Art Arbeitsstiftung, die für einen beträchtlichen Teil der Freischaffenden die Probleme mit wiederkehrender Arbeitslosigkeit zu lösen vermag. Dieses Modell wird als sehr erfolgreich beurteilt und ähnelt dem von der IG Freie Theaterarbeit entwickelten (in Österreich bislang nur theoretischen) Leiharbeitsmodell.
Deutschland
Das Sozialversicherungssystem in Deutschland fußt auf dem Prinzip der Versicherungspflicht und knüpft an Erwerbsarbeit an. Neben Angestellten und Selbstständigen gibt es spezielle Regelungen für BeamtInnen, aber auch für Bergknappen (!) und selbstständige KünstlerInnen. Für Angestellte sind alle folgenden Versicherungszweige verpflichtend, Selbstständige sind von einer öffentlich-rechtlichen Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen: Krankenversicherung (je nach Kasse ca. 14,7%), Rentenversicherung (19,5%), Unfallversicherung (unterschiedliche Sätze), Arbeitslosenversicherung (6,5 %), Pflegeversicherung (1,7 %). Dies ergibt einen Anteil von über 42% (Angestellte) bzw. über 35% (Selbstständige) am Bruttogehalt bzw. Einkommen.
Seit 1981 gibt es die Künstlersozialkasse (KSK), die günstigere Beiträge verrechnet. Wer als selbstständigeR KünstlerIn oder PublizistIn zwischen 3.900 Euro (Untergrenze gilt nicht für BerufsanfängerInnen) und 40.500 Euro im Jahr verdient, ist auf Antrag in der KSK versichert. Basierend auf dem Ansatz, dass die wirtschaftliche und soziale Situation von KünstlerInnen und PublizistInnen jener von ArbeitnehmerInnen insofern vergleichbar ist, als nur unter Mitwirkung von VermarkterInnen ihre Werke und Leistungen den EndabnehmerInnen zugänglich gemacht werden (wirtschaftliche Abhängigkeit), zahlen die KSK-Versicherten vergleichbar den ArbeitnehmerInnen in allen Versicherungszweigen nur 50% der Beiträge. Die andere Hälfte übernehmen der Staat und die Vermarkter (Verlage, Ausstellungshäuser, Rundfunk- und TV-Anstalten, Theater, Werbeagenturen etc.) in Form einer Abgabe auf die Summe der an KünstlerInnen bezahlten Honorare.
Schweiz
Die Schweiz gilt als ein Land der niedrigen Sozialstandards. Der Trend geht jedoch seit Jahren in die Richtung besserer Absicherung. Es gibt nur die Unterscheidung zwischen selbstständig und unselbstständig Erwerbenden. Die obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung gilt für alle Erwerbstätigen ab einem Jahreseinkommen von 8.500 CHF (ca. 5.666 Euro) und ist von ArbeitgeberInnen und -nehmerInnen 50:50 zu begleichen. Für unselbstständig Erwerbende sind außerdem die öffentlich organisierte Berufsunfallversicherung und Arbeitslosenversicherung (2%!) verpflichtend sowie eine 2. Säule der Pensionsversicherung, die in der Höhe nicht generell festgelegt ist und von den ArbeitgeberInnen organisiert wird. Auch Krankenversicherung ist für alle verpflichtend, muss aber privat organisiert werden. So summieren sich die Sozialversicherungsbeiträge der Unselbstständigen auf mindestens 13% (können aber auch wesentlich höher liegen), für Selbstständige sind es 5,115% bei minimalem Verdienst, im Durchschnitt 9,5%. Dazu kommen bei allen die Kosten für die private Krankenversicherung, die häufig hohe Selbstbehalte umfasst.
Für KünstlerInnen gibt es spezielle private Stiftungen, die sich zum Ziel gesetzt haben, eine 2. Säule der Pensionsversicherung zu bewerkstelligen. Vorteile im öffentlichen System haben nur unselbstständig erwerbende KünstlerInnen (im Theater- und Filmbereich) in Bezug auf die Rahmenfristen der Arbeitslosenversicherung. Bei kurzen Anstellungen zählen bis zu 30 Tage doppelt, damit die 12 Beitragsmonate innerhalb von 24 Monaten leichter erreicht werden können.
Frankreich
Frankreich ist das Mutterland des droit d’auteur, des Urheberrechts, an dem die Sozialversicherung der selbstständigen KünstlerInnen anknüpft. Wer in Frankreich als SchriftstellerIn, MusikerIn, FotografIn, ChoreographIn oder MultimediakünstlerIn tätig ist und mindestens 7.443 Euro im Jahr verdient, wird bei der AGESSA pflichtversichert. Bildende KünstlerInnen haben ein vergleichbares System, organisiert von der Maison des Artistes.
Die Sozialversicherungsbeiträge für selbstständige KünstlerInnen betragen ca. 15% für Kranken- und Pensionsversicherung. Die Krankenversicherung umfasst auch Krankengeld ab dem 4. Tag sowie Leistungen in den Fällen von Elternschaft, Invalidität, Tod. Als Quasi-Dienstgeberbeitrag fungiert eine Verwerterabgabe, welche die NutzerInnen von künstlerischen Leistungen bezahlen: Sie berechnet sich als 1% aller Lizenzgebühren (urheberrechtliche Nutzungsentgelte), die sie pro Jahr bezahlen.
Die unselbstständig beschäftigten KünstlerInnen im Film- und Theaterbereich (intermittents du spectacle) haben Ende 2004 mit spektakulären Aktionen für ihr Recht gekämpft, in den ständig wiederkehrenden Phasen von Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld zu erhalten. Dafür sind ihre Beiträge gigantisch hoch und machen (ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenanteil zusammengerechnet) 56% des Bruttogehalts aus. Derzeit müssen sie innerhalb von 319 Tagen 507 Stunden beschäftigt sein, um Arbeitslosengeld zu erhalten, das entspricht gut drei Monaten Arbeit innerhalb von zehneinhalb Monaten.
Juliane Alton ist Kulturarbeiterin und hat im Auftrag von Kulturrat Österreich und IG Freie Theaterarbeit eine Recherche zur sozialen Absicherung von KünstlerInnen in verschiedenen Ländern durchgeführt.