(Zeitung 2006) Konvergenz von Sicherheitsfragen und Kultur? Konrad Becker
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Die Rhetorik der unbegrenzten Freiheit des Warenverkehrs und Konsums als Ausdruck der Freiheit des Individuums steht im seltsamen Widerspruch zu einem Zeitalter nie da gewesener Formen der Unfreiheit. Technische Systeme und ihre gesetzgeberischen Begleitmaßnahmen schnüren ein dystopisch düsteres Korsett der Disziplinierung und Kontrolle.
Angesichts der komplexen Risiken technisierter Gesellschaften scheint die Durchdringung des Alltags mit Sicherheitstechnologien keiner gesonderten Begründung zu bedürfen. Dies erschwert eine kritische öffentliche Auseinandersetzung bzw. deren transparente Gestaltung. Sicherheitsdiskurs und Technikentwicklung sind „aus Sicherheitsgründen“ meist nicht öffentlich zugänglich. Sicherheit wirkt als Ausschlussmechanismus, der auf Geheimhaltung abzielt. Die Kontrollgesellschaft wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung einer sich immer schneller drehenden Aufrüstungsspirale von Sicherheitstechnologien. Früher wurde angenommen, dass Gewaltausübung zur Sicherung der bürgerlichen Freiheiten notwendig ist. Nun wird immer deutlicher, dass unsere Gesellschaften zunehmend vom Sicherheitskomplex selbst dominiert werden. Angst wird zum Business Model für Medien und Sicherheitsindustrie, Risikomanagement zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig.
Dissens als Sicherheitsproblem
Wenn Risikovermeidung zum höchsten Ziel wird, wird Dissens zum Sicherheitsproblem und Passivität zum Ideal. In einer Welt aus Angst und Katastrophe ist nacktes Überleben das bestmögliche Ergebnis. Überwachung als strukturelle Disziplinierung hebt die Trennung von Gefängnis und Freiraum auf. Überwachungstechnologie, eine Sozialtechnologie der Macht zur „Normalisierung“ des Individuums und Instrument der Steuerung sozialer Kollektive, führt die Idee des freien öffentlichen Raumes als eines Ortes autonomer Individuen ad absurdum. Im so genannten Westen wird Überwachung vorwiegend noch als Einbruch in die Privatsphäre und Verletzung der Anonymität wahrgenommen. Wesentliche Aspekte sozialer Ausgrenzung und Exklusion bleiben dabei vernachlässigt. Diese zunehmend automatisierten Mechanismen, um Risikoprofile und soziale Kategorisierung zu erstellen, sind ein Schlüssel zur Verstärkung sozialer, ökonomischer und kultureller Ungleichheiten.
Daten, und damit auch die Datenkörper, die Gesamtheit aller mit einer Person verbundenen Informationen, sind zu einer begehrten Ressource geworden. In dem Maße, in dem sich die Gesellschaften digitalisieren und Erfahrung virtualisieren, wird der Datenkörper zur sozialen Repräsentation von BürgerInnen. Für die Kontrolle des globalen Datenkörpers stehen eine wachsende Zahl von Technologien zur Verfügung, aber auch raffinierte Verführungstechniken, die zur Datenabgabe verleiten. Im Zuge des Auslagerns von staatlichen Leistungen in die Privatwirtschaft kommt es zu einer Konvergenz des staatlichen und wirtschaftlichen Datensammelns und zu einer Integration von Daten, welche die politische und wirtschaftliche Repräsentation von Personen ununterscheidbar werden lässt. Die selbstbestimmte Kontrolle der eigenen Daten ist ein notwendiger Bestandteil informationeller Autonomie. Das Recht auf Anonymität, die Wahrung der Privatsphäre in der Informationsgesellschaft ist für eine offene, demokratische Gesellschaft die Voraussetzung, um Unabhängigkeit zu wahren und Zensur zu vermeiden.
Nicht nur die vermeintlichen Ränder der Gesellschaft kommen in Konflikt mit der Kontrollmaschine. Auch bekannte KünstlerInnen werden mittlerweile zu Opfern paranoider Überwachungsszenarien. Steve Kurtz, ein Gründungsmitglied des renommierten US-amerikanischen Critical Art Ensemble, wurde am 12. Mai 2004 im Zusammenhang mit seiner künstlerischen Tätigkeit im Bereich Bio- und Informationstechnologie vom FBI unter Einsatz von militärischen Sondereinsatzkräften in Biowaffen-Schutzkleidung verhaftet. Auslöser für diese Aktion, die letztlich die allgemeine Einschränkung der Bürgerrechte in der Kampagne gegen Terrorismus widerspiegelte, war das plötzliche Ableben von Steve Kurtz’ Frau durch Herzversagen. Steve Kurtz stand in Folge kurz vor einer Anklage wegen Bioterrorismus, seine Ausrüstung und persönlichen Gegenstände sowie die Recherchen zu Biowaffen und Anthrax für das neue Buch der Gruppe sind bis heute von der Joint Terrorism Task Force beschlagnahmt. Kurtz, der öffentlich gegen die Patentierung der Biosphäre auftritt, die Rolle von Konzernen anprangert und in seiner künstlerischen Praxis die Manipulation der Nahrungskette und die Praktiken der Bioindustrie aufzeigt, wurde von der Sicherheitsparanoia staatlicher Behörden als Terrorist wahrgenommen.
Konvergenz von Sicherheitsfragen und Kultur
Gesetze wie der US „Patriot Act“ und die damit verbundenen Maßnahmen wenden sich nicht mehr nur gegen ImmigrantInnen, sondern auch gegen kritische JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und neuerdings gegen Kunstschaffende. Der Fall wurde am 15. Juni 2004 einer Grand Jury vorgelegt. Die Anklage stützte sich auf Gesetzestexte zum Verbot von Biowaffen, die den Besitz und die Weitergabe usw. von jeglichen, auch völlig harmlosen, biologischen Substanzen „not reasonably justified by a prophylactic, protective, bona fide research, or other peaceful purpose“ unter schwere Strafen stellen. Voraussetzung für die Anklage ist daher der Umstand, dass die Nutzung von Technologie und Wissenschaft für friedliche Zwecke durch Kunstschaffende infrage gestellt wird. Nachdem im Fall Kurtz vs. FBI bei handelsüblichen Utensilien und frei zugänglichen Substanzen keinerlei Gefährdung oder Bedrohung auszumachen und aus der Sachlage selbst kein krimineller Tatbestand abzuleiten ist, wird das Vergehen offenbar auf der symbolischen Ebene konstruiert. Der Verdacht scheint also begründet, dass es hier nicht um Artefakte biologischer Kunst geht, sondern darum, Ideen und kritische Gedanken zu kriminalisieren. Die zunehmende Konvergenz von Sicherheitsfragen und Kultur und die Durchdringung aller Lebensbereiche durch Überwachungs- und Kontrolltechnologien führen zu einer weiteren Verschmelzung des Virtuellen und des Realen, zwischen Fantasie und Wirklichkeit. In einer global vernetzten Welt sind Konflikte nicht mehr nur auf Territorien und Ressourcen ausgerichtet, sondern auf die psychologische Positionierung von Ideen.
So, wie sich auch die Konflikte in der Verteilung des Wohlstands inzwischen weniger auf die traditionelle Wertschöpfung materieller Güter und Energieproduktion, sondern auf die ungreifbare Welt des geistigen Eigentums (Intellectual Property) und der Informationsflüsse beziehen. Was mit Copyright und anderen so genannten geistigen Eigentumsrechten geschieht, ist, dass diese Monopole und Privilegien in ihrer extremsten Form der Versuch sind, eine Vorherrschaft über das Wissen zu etablieren. Bei „Digitalem Beschränkungsmanagement“ oder „Digitalem Rechtemanagement“, wie seine FürsprecherInnen es gerne fälschlich benennen, geht es um die Etablierung von umfassenden Überwachungstechnologien auf allen digitalen Systemen. In der Kulturalisierung von Sicherheitsfragen, dem „Cultural Peacekeeping“, beginnt sich die Trennung zwischen militärisch und zivil aufzulösen.
Konrad Becker ist interdisziplinärer Kommunikationsentwickler in der Hypermedia-Forschung und leitet das Institut für neue Kulturtechnologien/t0 sowie das World-Information.Org Cultural Intelligence Netzwerk