Zum Inhalt springen

Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitslosenversicherung

  • von

Arbeitspapier Kulturrat Österreich (Juli 2009)

Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitslosenversicherung; insbesondere für KünstlerInnen

Erste Schritte (legistisch lösbar; pragmatisch umsetzbar)

(1) Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung müssen Existenz sichernd wirken

(1.1.) Signifikante Anhebung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld und Einführung einer automatisierten Erhöhung der Notstandshilfe.
(1.2.) Verkürzung der derzeit geltenden Anwartszeiten: In Berufen, in denen befristete Beschäftigungen üblich sind, sollen die ersten 32 Tage einer höchstens auf 12 Monate befristeten Beschäftigung für den Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung doppelt gelten. Die Liste der Berufe soll gesondert per ministerielle Verordnung festgelegt werden. (Vgl. dazu die entsprechende Regelung in der Schweiz).
(1.3.) Die 8-Jahres-Frist für die bindende Entscheidung für oder gegen die freiwillige Arbeitslosenversicherung muss fallen. Die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige muss leistbar werden. Es braucht Kompatibilitätsmodi für Personen mit selbstständigem und unselbstständigem Einkommen.
(1.4.) Bei aufrechter Arbeitslosenversicherung in beiden Systemen (verpflichtend für unselbstständige Tätigkeit; freiwillig für selbstständige) muss der jeweils erworbene Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Verlust/Beendigung einer der beiden Formen der Erwerbstätigkeit auch unabhängig vom Fortbestehen einer Erwerbstätigkeit gemäß der anderen Arbeitslosenversicherung geltend gemacht werden können (bis zum Erreichen der Armutsgefährdungsgrenze durch Arbeitslosengeld und Einkommen).
(1.5.) Bei Rückforderungen des AlG-Bezugs durch das AMS aufgrund von Überschreiten der Zuverdienstgrenze (zwölffache der monatlichen ASVG-Geringfügigkeitsgrenze) soll ein Freibetrag in ebendieser Höhe gelten, sodass bei Überschreiten der Zuverdienstgernze maximal der über diesem Betrag liegende Zuverdienst zurückgefordert werden kann.
(1.6.) Einführung einer Mindesthöhe von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (z. B. analog zur Ausgleichszulagenregelung für Pensionsleistungen).
(1.7.) Zumindest Flexibilisierung der Zuverdienstgrenzen: Bei geringen Arbeitslosengeldbezügen soll monatlich bis zur Armutsgefährdungsschwelle dazuverdient werden können.

(2) Beratung durch das AMS

(2.1.) Einrichtung von kompetenten Informationseinrichtungen in allen AMS-Geschäftsstellen, die unabhängig von der unmittelbaren Betreuung rechtsverbindliche Auskünfte geben.
(2.2.) Information und Beratung zu Rechtswegmöglichkeiten auch gegen AMS-Entscheidungen.
(2.3.) Bundesweite Beratung von arbeitslosen KünstlerInnen: mittelfristig sind zumindest FachreferentInnen in allen Bundesländern vorzusehen.
(2.4.) Die KünstlerInnenbetreuung des AMS muss für erwerbslose KünstlerInnen zeitlich unbegrenzt offen bleiben: Die beiden derzeitigen Ausnahmeregelungen sind nicht ausreichend.
(2.4.1.) Vorschläge für zielführende Ausnahmeregelungen zum Weiterverbleib in der BBE Team 4 KünstlerInnenservice:
(a) zumindest 63 Tage Anstellung im Zeitraum eines Kalenderjahres.
(b) Mischformen der derzeit gültigen Ausnahmeregelungen: z. B. 42 Tage Anstellung (über der Geringfügigkeit) und eine vorübergehend selbstständige Tätigkeit im Folgemonat (Anerkennung von Anstellungen, die durchgehend länger als 27 Tage dauern in Kombination mit drauffolgenden vorübergehend selbstständigen Tätigkeiten).
(c) Generelles Zulassen von befristeten Arbeitsverhältnissen zwischen 28 und 62 Tagen als Ausnahmemöglichkeit.
(2.5.) Kursmaßnahmen müssen zumindest tatsächlich auf Bedürfnisse, Verbesserung der persönlichen Qualifizierung der einzelnen Erwerbslosen abgestimmt sein: Rücktrittsrecht für Betroffene nach Probetag; AMS-unabhängiger Rechtsweg; bei mangelndem Fortbildungsangebot möglicher Verzicht auf Kurs-, Eingliederungsmaßnahmen durch AMS und ArbeitslosengeldbezieherInnen.
(2.6.) Zumindest berufsspezischer Aufbau sogenannter „Bewerbungstrainings“ als Einzelcoachings in Projektentwicklungs- und Antragsphasen. (Die derzeit angebotenen Bewerbungstrainings helfen in vielen Berufen wie auch im Feld der Kunst in der Regel nichts.)

Grundsätzlich (erfordert unserer Ansicht nach einen grundlegenden Diskurswechsel in der politischen Entscheidungsstruktur)

(3) Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung müssen grundlegend Existenz sichernd wirken, gemäß AMSG §29 (2)

(3.1.) Die derzeitige Definition von Arbeitslosigkeit (u. a. keine Pflichtversicherung in der SVA) ist im Sinne einer sozialen Absicherung nicht zielführend und muss entsprechend geändert werden.
(3.2.) Schaffung eines sozialversicherungstechnischen dritten Status für den Bereich der Mischeinkommen (selbstständig und unselbstständig) und Integration in die Arbeitslosenversicherung.
(3.3.) Einführung einer Mindesthöhe von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Höhe der Armutsgefährdungsgrenze.
(3.4.) Grundeinkommen für alle! Ziel muss Existenzsicherung unabhängig von Erwerbsarbeit sein. Wir schließen uns dem visionären Lösungsvorschlag vieler KünstlerInnen an und sprechen uns für ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen für alle aus.
(3.5.) Zugangshürden zur Arbeitslosenversicherung reduzieren! Z. B. Freigabe des Zeitraums, innerhalb der die für die Erfüllung der Anwartschaft notwendigen Anstellungszeiten nachgewiesen werden müssen.

(4) Die Menschenwürde von Erwerbsarbeitslosen muss gewahrt bleiben!

(4.1.) Grundsätzliche Streichung von Sanktionen: Arbeitslosengeldleistung und -beratung sind Versicherungsleistungen, die im Sinne der Versichertengemeinschaft an Freiwilligkeit gebunden sein müssen. Transitarbeitsplätze, Bewerbungstrainings, Arbeitstrainings mit aufsuchender Betreuung etc. sind freiwillig zu besuchende Angebote. Ihr im ALVG festgeschriebener Charakter als regulärer Arbeitsplatz ist zu streichen.
(4.2.) Datenschutz: Einschränkung der zu sammelnden Daten durch das AMS. Strikte Regelung für die Weitergabe von AMS-Daten an Dritte (einschließlich einer effizienten Kontrolle insbesondere gegen Datenhandel und Datenversorgung von ArbeitgeberInnen ohne Zustimmung der Arbeitslosen im Einzelfall).