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MigrantInnen im ORF

  • von

(Zeitung 2006) Na sowas! Zuzana Brejcha

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Am 26.7.2006 wurde Anna Netrebko nach einem Beschluss des Ministerrates österreichische Staatsbürgerin. Dem ORF, der – die Berichterstattung über MigrantInnen betreffend – sonst eher durch das Bejubeln von sinkenden Asylantragszahlen auffällt, war dies eine Schlagzeile in den Hauptnachrichten wert. „Für besondere Verdienste“ und „als Bestätigung für die Kulturnation Österreich“, wie Vizekanzler Hubert Gorbach betonte. Netrebko selbst hatte ihren Schritt in einem Interview mit der St. Petersburg Times so begründet: „Ich bin Sängerin und habe ein internationales Publikum, ich sollte nicht länger die erniedrigenden endlosen Anträge (für Visa) und Wartezeiten durchmachen.“ Netrebko darf auch ihre russische Staatsbürgerschaft behalten (sonst würde man sie „zu Hause boykottieren“), dem österreichischen Staatsbürgerschaftstest musste sie sich nicht unterziehen. Sogar auf die Erfüllung der sonst zwangsauferlegten sog. „Integrationsvereinbarung“ wurde verzichtet.

Üblicherweise dürfen Neo-ÖsterreicherInnen von so viel Zustimmung zu ihrer Einbürgerung nur träumen, ganz zu schweigen von MigrantInnen, die hierzulande Schutz vor Verfolgung oder schlechter ökonomischer Situation suchen. Und im ORF – und sonstigen Medien – kommen sie kaum vor, es sei denn als Kriminelle oder Hilfsbedürftige in Licht ins Dunkel. Menschen mit Akzent oder solche, „denen man ihre Abstammung ansieht“, wie es ein österreichischer Landeshauptmann formulierte, sind weder als ModeratorInnen zu sehen, noch in Talkshows, Reality-Shows, Game-Shows oder Serien. „Bei uns zählt nur die Qualität“, erklärt dazu die ORF-Pressestelle und verweist auf Arabella Kiesbauer (?).

Medien als Instrumente politischer Artikulation

Der Zugang zu den Massenmedien ermöglicht die Herstellung von Öffentlichkeit, und nur so können in parlamentarischen Demokratien Interessen artikuliert und durchgesetzt werden. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten haben den gesetzlichen Auftrag, Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Prozess zu schaffen. Für MigrantInnen ist die Beteiligung am Kommunikations- und Gestaltungsprozess dennoch nicht gewährleistet.

Jahrzehntelang war man in Österreich ausschließlich mit den „autochthonen Minderheiten“ befasst, also mit ÖsterreicherInnen nicht-deutscher Muttersprache, die seit mehr als drei Generationen im Staatsgebiet angesiedelt und im Volksgruppengesetz als Minderheiten anerkannt sind. Diese Definition schließt MigrantInnen z.B. aus der Türkei aus. TürkInnen sind als Volksgruppe nicht anerkannt und werden somit auch nicht nach dem Volksgruppengesetz gefördert.

Die Versorgung mit muttersprachlichen Medien ist in Österreich so gering, dass MigrantInnen auf Satellitenprogramme aus ihren ehemaligen Heimatländern angewiesen sind. Wahrscheinlich haben sie auch keine Lust, sich als Drogendealer oder Putzpersonal in ORF-Sendungen wiederzufinden. Die Möglichkeit, am Programm zu partizipieren, bleibt ihnen verwehrt. Gerade aber Medien spielen eine wichtige Rolle bei Orientierung, Sozialisation und (politischer) Artikulation.

Partizipation: In der Praxis bislang nur eine Kann-Bestimmung

In Österreich gibt es kein eigenes Gesetz, das die Versorgung mit muttersprachlichen Medien regeln würde. Der Medienzugang für Minderheiten ist lediglich aus den allgemeinen Minderheitenschutzbestimmungen und aus einzelnen Gesetzestexten herauszulesen, die allerdings nur für die sog. „autochthonen Minderheiten“ (gemäß Volksgruppengesetz: KroatInnen, SlowenInnen, UngarInnen, TschechInnen, SlowakInnen, Roma), aber nicht für MigrantInnen gelten.

So beinhaltet der Art. 7 (1) des Österreichischen Staatsvertrages unter anderem auch Bestimmungen, die sich auf Medien beziehen. Eine explizite Regelung für ethnische Minderheiten ist aber weder im Rundfunkgesetz noch im Programmauftrag des ORF vorgesehen. Der ORF verpflichtet sich lt. Rundfunkgesetz lediglich (gemäß seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag) für das Verständnis in den Fragen des demokratischen Zusammenlebens zu sorgen. Außerdem gibt es für ethnische Minderheiten nur einen Sitz im Publikumsrat – der zahnlosen HörerInnen- und SeherInnenvertretung im ORF –, nicht aber im entscheidungsrelevanten Stiftungsrat.

Die Folgen sind im ORF-Programm abzulesen: Der ORF sendet einmal wöchentlich die halbstündige TV-Sendung Heimat, fremde Heimat, die sich laut Eigendefinition als „Darstellung des Lebens ausländischer Mitbürger, eingebürgerter Zuwanderer und Angehöriger von Volksgruppen“ versteht. Diese Sonntagmittag-Sendung bietet außer einigen Informationen über Kulturveranstaltungen mehrheitlich Beiträge über „gelungene Integration“, also über Anpassung und Assimilation bis zur Selbstaufgabe. Pikanterweise wird diese Sendung in deutscher Sprache produziert, als sei der Klang der Fremdsprachen abseits von Englisch oder Französisch den Ohren der eventuell vor dem Fernseher eingeschlafenen ÖsterreicherInnen nicht zumutbar. Kein Bericht über die Abschiebung traumatisierter TschetschenInnen oder über die Abschiebehaft minderjähriger AfrikanerInnen, sondern Folklore in Nationaltrachten oder Beispiele nachbarschaftlicher Hilfe in Tirol. Eine gleichnamige Radiosendung ist im ORF-Regionalsender Radio Wien jeden Sonntag zwischen 19.30 und 20.00 Uhr zu finden. Darüber hinaus werden Minderheiten in den ORF-Regionalradio- und Fernsehsendungen (z.B. Willkommen Österreich) meist als Folklore-Veranstalter erwähnt. Das Volksgruppenradio schließlich wird sechs Stunden täglich und über ORF Mittelwelle ausgestrahlt – gesendet vorwiegend in deutscher Sprache.

Schluss mit Folklore! MigrantInnen in den ORF!

Die Instanz für Minderheiten- und Menschenrechtsfragen auf europäischer Ebene ist der Europarat. Eines der wichtigsten Dokumente des Europarats im Minderheitenbereich ist die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die im Art. 11 den europäischen Standard für den Zugang von Minderheiten zu den Massenmedien festlegt. Dort wird unter anderem festgeschrieben, dass Hörfunk und Fernsehen, soweit sie eine öffentliche Aufgabe erfüllen „zusätzlich angemessene Vorkehrungen“ treffen müssen, damit Rundfunkveranstalter Sendungen in den Sprachen der Minderheiten des jeweiligen Landes anbieten. Seit April 1989 sendet der ORF jeden Sonntag um die Mittagszeit in Kärnten die slowenische Fernsehmagazinsendung Dober dan, Koroska (Guten Tag, Kärnten). Im Burgenland wird zeitgleich Dobar dan, Hrvati (Guten Tag, Kroaten) ausgestrahlt. Diese Sendungen werden zwischen 3.00 und 5.00 Uhr morgens in ORF 2 bundesweit wiederholt. Wenigstens werden dadurch die fremdsprachigen Klänge möglichst vielen ZuschauerInnen erspart und sie werden nicht an die Tatsache erinnert, dass in Österreich mehrere hunderttausend Menschen nicht-deutscher Muttersprache leben.

Medien sind aber nicht nur Instanzen zur Übertragung von Information, sondern sie produzieren selbst Wirklichkeiten. Sie geben bis zu einem bestimmten Grad vor, was in einer Gesellschaft als „Norm“ gilt. Damit Minderheiten als gesellschaftliche „Norm“ gelten und als solche auch wahrgenommen werden, müssen sie in den Medien vorkommen: als EntscheidungsträgerInnen und GestalterInnen, vor und hinter der Kamera, in Nachrichten ebenso wie in anderen Sendungen, Filmen und Shows – allerdings in einer differenzierten Weise, die nicht auf Folklore, Kriminalität oder Hilfsbedürftigkeit reduziert.


Zuzana Brejcha ist Filmschaffende, Migrantin und im Vorstand des Kulturrat Österreich aktiv

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