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Öffentliche Dienstleistung Kultur in Gefahr?

  • von

(Zeitung 2006) Von Kultur, Ökonomie und zivilgesellschaftlichen Allianzen. Andrea Ellmeier

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Wirtschaft, Weltwirtschaft und all die internationalen Verträge interessieren die, die im kulturellen Feld arbeiten, nicht unbedingt. Sollten sie aber. Was haben rein wirtschaftliche Regelungen mit Kultur zu tun? Viel. Es schaut ganz so aus, als ob „die Wirtschaft“ alle und alles eingeholt hätte: Jetzt müssen sich in den Anfängen des Wohlfahrtstaates noch deutlich ökonomie-ferne Bereiche wie Kultur und Kunst, Bildung und Gesundheit über etwas so Sperriges wie GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und die EU-Dienstleistungsrichtlinie schlau machen. Warum eigentlich?

GATS geht alle an

Die Globalisierung der Wirtschaft hat, zusätzlich beschleunigt durch den Wegfall des Realen Sozialismus, in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass auch bzw. gerade Kultur, kulturelle Güter (GATT) und mit GATS „kulturelle Dienstleistungen“ immer stärker ins ökonomische Visier geraten sind und Kultur ein wirtschaftlich äußerst interessantes Feld geworden ist. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass sich die (westliche) Industriegesellschaft hin zu einer Informationsgesellschaft, zu einem Content-Kapitalismus entwickelt hat, der geradezu von „kulturellen Produkten“ und „kulturellen Dienstleistungen“ lebt. Der Postfordismus ist u.a. gerade dadurch gekennzeichnet, dass Kultur in all ihren Ausformungen (Kunst, kulturelle Güter und Dienstleistungen) zu einer begehrenswerten Wirtschafts-Ressource geworden ist und sogar von kultureller Ökonomie gesprochen wird.

Für diese globalen ökonomischen Veränderungen gibt es bislang keine international verbindlichen politischen Spielregeln. Seit der Gründung des GATT im Jahr 1947 gibt es hingegen internationale ökonomische Spielregeln. Und Mitte der 1990er Jahre gelang den ökonomischen Playern mit der Gründung der WTO (World Trade Organisation) ein weiterer Schritt zur Institutionalisierung der globalen Waren“ströme“. Nationale Regelungen haben in einem solchen ökonomischen Welt-Raum freilich massiv an Bedeutung verloren, sowohl gegenüber einem nationalen Ordnungsregime als auch gegenüber einem multilateralen bzw. supranationalen.

Internationale nicht-ökonomische, völkerrechtlich wirksame Richtlinien oder Übereinkünfte, die z.B. einflussreichen transnational aktiven Konzernen eine zivilgesellschaftliche Charta als außerökonomisches Korrektiv entgegensetzen könnten, fehlen. Eine solche Charta könnte zivilgesellschaftliche Vereinbarungen enthalten, die Anliegen von allgemeinem Interesse wie Kultur, Bildung und Gesundheit vor dem totalen ökonomischen Zugriff schützen und fördern und sich nicht an einem ökonomischen Paradigma orientieren. Auf diese Weise könnte neben dem globalen ökonomischen ein globaler nicht-kommerzieller öffentlicher Welt-Raum entstehen.

Kulturelle Ökonomie

Zurück zur Frage der kulturellen Ökonomie. Wie kam es zu einem engeren Verhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft? Die Nationalwirtschaften veränderten sich hin zu global positionierten Regionalökonomien, die wirtschaftspolitischen Zusammenschlüsse von mehreren Staaten führten zu Abkommen wie NAFTA, EU-Verträge, MERCOSUR, ASEAN etc. Früher oder später stellte sich in diesen um einiges größer gewordenen Märkten die Frage, wie denn nun Kulturgüter, kulturelle Dienstleistungen behandelt werden sollten. Sind es in erster Linie Handelsgüter oder doch eher Kulturgüter, eher handelsübliche Dienstleistungen oder doch schützenswerte kulturelle Dienstleistungen im Interesse eines Staates, eines Gemeinwesens? Da prallen ganz differente politische Positionen aufeinander: Für Wirtschaftsliberale ist ein Kulturgut ein Wirtschaftsgut wie jedes andere, das sich in einem weitgehend „freien“ Markt am besten entwickeln kann. Das andere Ende des Spektrums, das sämtliche an Kultur Interessierte und für Kultur Engagierte einschließt, will kulturelle Güter und Dienstleistungen keinesfalls als ganz gewöhnliche kommerzielle Waren und Dienstleistungen ge- und behandelt wissen.

Faktum ist, dass das GATS-Abkommen der WTO, das den globalen Handel mit Dienstleistungen forcieren soll, eine Privatisierung vieler bisher öffentlich organisierter Bereiche zum Ziel hat. Inner-EU-politisch verfolgt die EU-Kommission mit der Ende Mai 2006 verabschiedeten Bolkestein-Dienstleistungsrichtlinie einen weitgehend liberalen Kurs. Außenpolitisch weiß die EU ihre Interessen aber dahingehend zu wahren, dass sie z.B. den europäischen Filmmarkt und AV-Dienstleistungen weder für GATT noch jetzt für GATS global freigegeben hat, um damit die heterogene, vielfach auf nationalen Filmförderungen basierende europäische Filmwirtschaft vor der für sie existenzbedrohenden US-Konkurrenz zu schützen.

Die außerökonomischen kulturellen Argumente finden nicht zuletzt dank der lautstarken Proteste der europäischen Kulturszenen Gehör, die verhindern möchten, dass sich mit der WTO ein ökonomisches Weltsystem ohne gleichwertiges politisches Pendant etabliert. Diese zivilgesellschaftlichen Interventionen sind eine Reaktion auf das Faktum, dass bisher die Organisierung des globalen politischen Zusammenhalts weit hinter dem wirtschaftlichen Feld zurückgeblieben ist und dass von den politischen Eliten bis dato globale zivilgesellschaftliche Anliegen im Verhältnis zu ökonomischen Interessen auffallend wenig vertreten wurden. Nationalstaatlich organisierte Interessenvertretungen sind nun aufgerufen, sich international neu zu entwerfen und zu positionieren. Vor allem gilt das für Gewerkschaften wie auch sämtliche Interessenvertretungen aus Kunst und Kultur.

Kampfbegriff Kulturelle Vielfalt

In und mit der Antiglobalisierungsbewegung sind europäische und globale Kulturöffentlichkeiten auch gegen das MAI-Abkommen (1999), gegen die GATS-Verhandlungsrunden, gegen die EU-Bolkestein-Dienstleistungsrichtlinie, aber für den Erhalt und Schutz „kultureller Vielfalt“ aufgetreten.

Kulturelle Vielfalt wurde zu einem internationalen kulturpolitischen Kampfbegriff. Gefordert wurde nicht mehr und nicht weniger als ein internationales Instrument zur Sicherung und Förderung von kultureller Vielfalt, die durch die weitgehende Ökonomisierung vieler bislang nicht kommerzialisierter gesellschaftlicher Bereiche bedroht war und ist. Aus dem anfangs wahrlich utopischen Unterfangen wurde ein Erfolg, als die UNESCO, die eher zahnlose Kulturorganisation der UNO, es als Chance für sich begriff und tätig wurde. Im Oktober 2005 konnte schließlich mit einer unerwartet satten Mehrheit gegen den beinahe singulären Widerstand der USA die „Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions“ verabschiedet werden. Diese UNESCO-Konvention ist ein völkerrechtliches Instrument, dass dem WTO-Vertrag zwar nicht vorgereiht, aber doch gleichgestellt ist. Damit konnte in einem ersten Schritt erreicht werden, dass Kultur im ökonomischen Kontext überhaupt einmal wahrgenommen werden muss. Die WTO kann sich jetzt nicht mehr so einfach an „kulturellen Argumenten“ vorbeischwindeln. Kultur hat im globalen ökonomischen Kontext an Bedeutung gewonnen und eine Stimme erhalten, die es weiter und nachhaltig zu kräftigen gilt. Das ist aber nur ein erster, wenn auch wichtiger Schritt. Jetzt geht es darum, den Erhalt und vor allem den Ausbau der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen tagtäglich vor Ort (in den Nationalstaaten) aufs Neue durchzusetzen, zu fordern, dass kulturelle und andere gesellschaftspolitische Freiräume für eine zivilgesellschaftliche Nutzung erhalten und gefördert werden.

Auch in Österreich ist es allerhöchste Zeit für eine aktivere Auseinandersetzung mit GATS und seinen Auswirkungen auf Kunst und Kultur. Es ist sehr zu wünschen, dass die UNESCO-Cultural Diversity-Diskussion bald eine breitere Öffentlichkeit erreicht, handelt es sich doch um nicht weniger als die Sicherstellung und Entwicklung der demokratischen Teilhabe einer mündigen und selbstbewussten Bevölkerung an Fragen von allgemeinem Interesse. Dafür braucht es freie Medien, freie Kulturszenen und allgemein eine breite Unterstützung von nicht-kommerziell orientierten Kultur- und Kunstprogrammen durch die öffentliche Hand – im Interesse einer sich entwickelnden kritischen europäischen Öffentlichkeit und Gesellschaft.

Andrea Ellmeier ist Kulturwissenschaftlerin, Lehrbeauftragte an der Univerität Wien und kulturpolitische Konsulentin des Europarats


Links

www.unesco.de (weiterführende Materialien und zu Geschichte und aktuellem Stand der UNESCO Konvention)
www.unesco.at
www.stoppgats.at
www.attac.at/bolkestein.html
www.de.wikipedia.org

Glossar

WTO (World Trade Organisation – Welthandelsorganisation)

Aufgabe der 1995 in der Nachfolge von GATT gegründeten WTO ist die Formulierung von Regeln für den internationalen Handel, mit dem Ziel, Handelshemmnisse abzubauen und langfristig den internationalen Freihandel zu ermöglichen. Die WTO-Verträge beziehen sich nicht mehr nur auf den Güterhandel, sondern umfassen zusätzlich auch den Dienstleistungshandel (wie im GATS verankert) und den Schutz des geistigen Eigentums. Die WTO hat derzeit 149 Mitglieder, die mehr als 90% des Welthandelsvolumens erwirtschaften. Wesentliche Nicht-Mitglieder sind Russland und andere ehemalige Staaten der Sowjetunion und mehrere Staaten des Nahen Ostens.

Den Kern bilden die WTO-Verträge, die durch die wichtigsten Handelsnationen ausgearbeitet und unterzeichnet wurden. Die gegenwärtigen Verträge sind das Resultat der so genannten Uruguay-Runde (1986-1994), in der der GATT-Vertrag überarbeitet wurde. Wirtschaftspolitisch verfolgt die WTO eine neoliberale Außenhandelspolitik, die mit Deregulierung und Privatisierung einhergeht und auch bisher geschützte Bereiche betrifft. Kritisiert wird u.a., dass die WTO Menschenrechte, Arbeitsnormen, Sozialstandards usw. unbeachtet lässt. Weiter wird bemängelt, dass eine Regulierung von einmal liberalisierten Bereichen nicht vorgesehen ist, und dass die WTO trotz ihrer Bedeutung weder von einem Parlament kontrolliert wird, noch der UN unterstellt ist.


GATT (General Agreement on Tariffs and Trade – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen)

Das GATT ist ein multilateraler Vertrag, der 1947 von 23 Staaten geschlossen wurde, um den weltweiten Handel durch Senkung der Zölle und Beseitigung anderer Außenhandelsbeschränkungen zu fördern. Die Prinzipien des GATT umfassen die Meistbegünstigung gegenüber allen Vertragspartnern, die rechtliche Gleichbehandlung von in- und ausländischen Gütern, das Verbot von Mengenbeschränkungen, Dumping und Exportsubventionen sowie das Gebot von Zollsenkungen und das Prinzip der Gegenseitigkeit beim Abbau von Handelshemmnissen. Österreich trat am 1. Juli 1953 (nach Ende des Marshall-Plans) bei. 1995 wurde das GATT von der WTO abgelöst.


GATS (General Agreement on Trade in Services – Allgemeines Abkommen über Handel mit Dienstleistungen)

Das GATS ist ein internationales, multilaterales Vertragswerk der Welthandelsorganisation (WTO), das seit 1995 den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen unter den Mitgliedern der WTO regelt und dessen fortschreitende Liberalisierung zum Ziel hat. Der Dienstleistungssektor macht in den Industrieländern bereits zwei Drittel der Wirtschaftsleistung aus, entsprechend groß ist das Interesse der führenden Konzerne an einer weltweiten Liberalisierung (und Privatisierung) von Bank- und Versicherungsgeschäften, Telekommunikation, Post, Strom, Gas, Wasser, Transport, Tourismus, Medien, Bildung, Gesundheitswesen und weiteren 150 im GATS aufgelisteten Dienstleistungen.


Europäische Dienstleistungsrichtlinie

Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (auch Europäische Dienstleistungsrichtlinie oder Bolkestein-Richtlinie genannt, weil der EU-Kommissionsvorschlag vom niederländischen Liberalen Frits Bolkestein eingebracht worden war) ist eine EG-Richtlinie zur Liberalisierung des EU-Binnenmarkts. Die Richtlinie soll den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen fördern und – so die EU-Diktion – bürokratische Hindernisse abbauen, indem die Europäische Union zu einer Freihandelszone für Dienstleistungen wird.

Es gab und gibt viel Kritik an dieser Richtlinie und für viele stellte der Vorschlag von Bolkestein ein Symbol für den neoliberalen Kurs der EU-Kommission dar. Befürchtet wird insbesondere eine Abwärtsspirale in der Regulierung und Kontrolle von Unternehmen im Dienstleistungssektor. Es ist dem Europäischen Parlament zwar gelungen, den Kommissionsentwurf zu entschärfen (Wegfall des Herkunftslandprinzips), aber die Gewerkschaften und GlobalisierungskritikerInnen haben weiterhin Bedenken. Kritisiert wird insbesondere die durch die Entsenderichtlinie 96/71 EG legitimierte Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten des Arbeitslandes zur Durchsetzung seiner Mindeststandards bei Lohn, Arbeitszeit, Urlaub und Arbeitsschutz.

UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen

Ludwig Laher


Mit der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist im Oktober 2005 ein völkerrechtliches Instrument beschlossen worden, das es ermöglicht, kulturelle Güter und Dienstleistungen den Begehrlichkeiten der WTO zu entziehen. Die Unterzeichnerstaaten haben demnach auch in Zukunft u.a. das Recht auf öffentliche Förderungen und Quoten für local content, öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Kulturauftrag und Gebührenhoheit usw.

Diese Rechte sind durch die Konvention jedoch nicht garantiert und müssen von der Zivilgesellschaft weiterhin eingefordert werden. Daher ist es unerlässlich, etwa die GATS-Runden genau zu beobachten und darauf zu achten, dass keine Verpflichtungen eingegangen werden, die der Konvention widersprechen. Nach innen wird den Unterzeichnerstaaten aufgetragen, ebendiese kulturellen NGOs zu fördern, sie vor Entscheidungen in den Erarbeitungsprozess einzubeziehen und selbst auf die Erhaltung kultureller Vielfalt zu achten. In Österreich ist die Konvention im Juli 2006 vom Parlament beschlossen worden.