(26.1.04, Redebeitrag für den Kulturrat Österreich) Information, Kommunikation, Wissen und Bildung und der freie Zugang müssen in einen Katalog von Grundrechten aufgenommen werden, zu deren Sicherstellung der Staat sich selbstbewusst zu entschließen hat. Der nationalstaatliche Rahmen alleine ist längst nicht mehr geeignet, die Grundlagen für die Entwicklung einer demokratischen Kultur in unserer Gesellschaft zu gewährleisten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn wir, die wir im künstlerischen und kulturellen Feld tätig sind, heute die kurze Zeit nützen, um einen Beitrag zur Reform der österreichischen Bundesverfassung zu leisten, so tun wir dies mit einem Unbehagen, das uns zugleich auch ein Ansporn ist.
Gerade weil uns die nicht besonders einladende Aufgabenstellung dieses Konvents vielfach ins Bewusstsein gerufen wurde – allen voran das postulierte Unwort vom „schlanken Staat“ -, ist es jetzt umso mehr an uns, einige Bemerkungen anzufügen, die als widerborstige Erwartungshaltung an eine Verfassungsreform zu verstehen sind.
Wir sind jedenfalls nicht hier, um den „Sparefroh“ in einem rot-weiß-roten Schulterschluss zu einer politischen Leitfigur der Zukunft emporzuheben, sondern wir sind hier, um Gedankenräume zu öffnen, was für einen Reformprozess eigentlich konstitutiv sein sollte.
Ob in Österreich oder anderswo – der nationalstaatliche Rahmen alleine ist längst nicht mehr geeignet, die Grundlagen für die Entwicklung einer demokratischen Kultur in unserer Gesellschaft zu gewährleisten.
Aus diesem Unvermögen lässt sich allerdings auch eine Tugend machen, indem in einer zeitgemäßen Festlegung von Staatszielen und elementaren Grundrechten klar zum Ausdruck gebracht wird, dass die Herausforderungen unserer Zeit zumindest zur Kenntnis genommen wurden und entsprechende Schlussfolgerungen in eine neue Verfassung Eingang gefunden haben.
Forderungen an eine Verfassungsreform haben sich an den Realitäten einer global vernetzten Informations- und Wissensgesellschaft zu orientieren, die das 21. Jahrhundert nachhaltig verändern wird. Der bloße Ruf nach der Freiheit der Kunst und ihrer Ausübung reicht mittlerweile schon nicht mehr aus, um die Gefahrenpotenziale zu beschreiben, deren Eindämmung Aufgabe einer jeden konstituierten staatlichen Verantwortung sein muss.
1945, als es zuletzt eine demokratisch verfasste Republik zu etablieren galt, stand dieser Prozess unter dem Eindruck des mörderischen NS-Regimes sowie der Verfolgung und Vertreibung vieler Künstlerinnen und Künstler. Fast sechzig Jahr später haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend verändert.
Und trotzdem: Politische Versuche, freies kulturelles Handeln einzuschränken, sind auch in demokratischen Systemen allgegenwärtig.
Kunst- und Kulturschaffende finden heute Grenzen und Barrieren vor, die den freien Fluss der Information und der Ideen sowie die Interaktion in Netzwerken nachhaltig beeinträchtigen. Dazu ein Beispiel: Der weltweite Trend zur Kontrollgesellschaft bedeutet nicht ein Mehr an Sicherheit – wie man uns insbesondere seit September 2001 glauben machen will -, sondern zählt gegenwärtig zu den ganz besonders Besorgnis erregenden Entwicklungen, von der nicht zuletzt das kritische und nonkonforme Kunst- und Kulturschaffen ganz massiv betroffen sind.
Vergessen wir also nicht: Eine Gesellschaft – und damit auch ihre kulturellen Produktionsbedingungen – sind nur frei, wenn die Mobilität der Menschen sowie der Austausch von Wissen und Information keine Beeinträchtigung erfahren.
Gegenwärtig finden wir eine Situation vor, in der das öffentliche Interesse durch das immer stärkere Ausmaß einer privatisierten Verfügungsgewalt über das Wegerecht gefährlich übervorteilt wird. Diese Metapher steht hier für die Macht über die Erteilung von Nutzungsrechten sowie über die Festlegung technologischer Standards in Medien und Telekommunikationsstrukturen – den wichtigsten Domänen der Kunst und Kultur der Zukunft.
Von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann kaum noch die Rede sein; freie, nicht-kommerzielle und partizipative Medienprojekte sind vom Gesetzgeber bislang nicht zur Kenntnis genommen und somit inexistent; und auch um die Telekommunikationsinfrastruktur ist es aus demokratiepolitischer Perspektive äußerst schlecht bestellt. Die Politik dieses Landes hat deren Bedeutung als Harmonisierungsfaktor für gesellschaftliche Ungleichheiten von Anfang an verkannt und die Geschwindigkeit sowie die Richtung der Netzwerkgestaltung ausschließlich der Telekom-Industrie überlassen.
Die digitale Kluft, der sich seit Dezember 2003 ein Weltgipfel der Vereinten Nationen widmet, zieht sich deshalb auch hierzulande immer tiefer – ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.
Somit steht fest: Der Fetisch von einer Verschlankung des Staates hat in den vergangenen Jahrzehnten auch in Österreich dazu geführt, dass das Kultur- und Geistesleben durch den Rückzug der öffentlichen Verantwortung wesentliche Grundlagen verliert.
Wenn dieser – vor allem durch die Interessen der Verwertungskonzerne und Law-and-Order-Behörden erzwungenen – Einengung des Zugangs zu zeitgemäßen Produktions- und Distributionsformen nicht rechtzeitig Einhalt geboten wird, droht eine dramatische Verarmung, die letztlich die Menschen auch wichtiger Grundlagen einer Mitgestaltung der Zukunft beraubt.
Diese Einsicht sollte dem Konvent zur Reform der österreichischen Verfassung eine Lehre sein. Deshalb ist auch die Forderung unumgänglich:
Information, Kommunikation, Wissen und Bildung und der freie Zugang müssen in einen Katalog von Grundrechten aufgenommen werden, zu deren Sicherstellung der Staat sich selbstbewusst zu entschließen hat.
Wenn eine Reform der Verfassung diese Notwendigkeit nicht zur Kenntnis nimmt, ist einmal mehr eine wertvolle Chance vertan, der Freiheit der Kunst sowie der kulturellen Partizipation als Grundrecht zum Durchbruch zu verhelfen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.