(Zeitung 2006) Aspekte der Prekarisierung von Kulturarbeit in Österreich. Markus Griesser
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B. ist in Eile – in Projekteinreichphasen kulminiert der Stress. Vor allem, weil das alles neben dem Job her passieren muss, den B. zur Zeit ausübt. Ebenfalls in einem Projekt im Kulturbereich, in dem es B. zur Abwechslung mal wieder zu einem Angestelltenverhältnis gebracht hat. Zwar nur Teilzeit, aber immerhin sozialversichert. Finanziell kommt sie mit dieser Tätigkeit alleine allerdings nicht über die Runden. Deshalb ein Zweitjob auf Werkvertragsbasis. Am meisten lastet auf B. derzeit allerdings das nahende Ende des auf zwei Jahre befristeten Projekts – und damit auch das Ende ihrer Anstellung. Denn ein Nachfolgeprojekt termingerecht zum Abschluss des vorangegangenen an Land zu ziehen, ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Und die unzureichende finanzielle wie auch soziale Absicherung aufgrund solcher Diskontinuitäten ist ganz schön zermürbend.
Diskontinuierliche, teilzeitige, befristete Beschäftigung mit zumeist unregelmäßigen Arbeitszeiten und ebenso schwankendem Einkommen – das alles gilt in den Sozialwissenschaften auch heute noch als Anzeichen für eine „atypische“ Beschäftigung in Abgrenzung zum sog. „Normalarbeitsverhältnis“ (kontinuierlich, vollzeitig, unbefristet usw.). Und das obwohl besagte „Norm“ global betrachtet für die wenigsten je Gültigkeit hatte und seit mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten bereits selbst in den „hochentwickelten Sozialstaaten“ Europas von Beschäftigungsformen umzingelt wird, die Schritt für Schritt ihren Status der vermeintlichen „Normalität“ untergraben. In Österreich sind es v.a. „Teilzeitarbeit“ und „geringfügige Beschäftigung“, die seit Anfang der 1980er Jahre massiv an Bedeutung gewinnen. So wuchs etwa die Zahl der Teilzeitbeschäftigten von ca. 171.000 im Jahr 1974 auf über 500.000 im Jahr 2001, wobei rund 85% dieser Jobs von Frauen ausgeübt werden. Auch die freien Dienst- bzw. Werkverträge verzeichneten insbes. in den ersten Jahren nach ihrer sozialrechtlichen Neuregelung 1996 massive Steigerungsraten.
Atypisch und prekär
Die Problematik solcher „atypischen“ Beschäftigungsverhältnisse liegt neben den genannten Aspekten (unzureichende finanzielle Absicherung; Verlust von längerfristigen Perspektiven usw.) in ihrer nach wie vor nur partiell erfolgten Einbindung in sozial- und arbeitsrechtliche Regelungen. Das macht nämlich aus der atypischen im Handumdrehen eine prekarisierte Lohnabhängige – ein „Schicksal“, vor dem freilich auch Vollzeitbeschäftigte bspw. im expandierenden Niedriglohnsektor gegenwärtig immer weniger gefeit sind. Generell liegt das Problem der sozialen Sicherungssysteme in konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Österreich in diesem Zusammenhang v.a. an ihrer am „Ideal“ des Normalarbeitsverhältnisses orientieren Erwerbsarbeitszentriertheit. Das impliziert nämlich, dass eine umfassende Einbindung in diese Systeme an kontinuierliche Erwerbsbiografien, relativ hohe Einkommen usw. geknüpft ist – eine Tendenz, die mit den „Reformen“ der letzten Jahre wie etwa der Pensionsreform 2003 (Stichwort: „lebenslange Durchrechnung“) noch zusätzlich verschärft wurde. Die Folge ist, dass selbst jene „Atypischen“, die sozialversichert sind, im Falle des Eintretens sozialer Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Kinderbetreuungspflichten oder Alter mit einer bestenfalls lückenhaften Absicherung auf niedrigem Niveau rechnen können. Dass ein solches „Vorbeiagieren“ an den Interessen atypisch Beschäftigter u.a. eine erhöhte Armutsgefährdung von z.B. Werk- oder freien DienstvertragsnehmerInnen zur Folge hat, bestätigt zwischenzeitlich selbst der „Bericht über die soziale Lage“ des Sozialministeriums.
„Atypisch“ sind auch KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen – und zwar nicht erst seit kurzem, sondern eigentlich schon immer. Zumindest gemessen am „Normalarbeitsverhältnis“, das in den damit assoziierten Bereichen nie umfassende Durchsetzung erfuhr. Nichtsdestotrotz ist auch das Arbeiten in diesen Sektoren unter den Vorzeichen des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft durch einen zunehmenden Verlust sozioökonomischer Sicherheiten gekennzeichnet. Dies gilt zum einen für den „öffentlichen“ Bereich kultureller und künstlerischer Produktion, wo sich Tendenzen wie die Kürzung staatlicher Subventionen, der Bedeutungsverlust von Basis- zugunsten von Projektförderungen, die (Teil-)Privatisierung und zunehmende Wettbewerbsorientierung usw. entsichernd auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der hier Beschäftigten auswirken. Zum anderen gilt das aber auch für jenen Bereich, der aufgrund seiner Potenziale in Sachen Wachstum, Wertschöpfung und Beschäftigung als Zukunftsbranche der zeitgenössischen Dienstleistungsökonomie gehandelt wird, nämlich die sog. „Creative Industries“. Hier, wo Schätzungen zufolge bspw. in Wien bereits heute rund 14% aller Beschäftigten ihren Lebensunterhalt verdienen, dominieren kleinteilige Unternehmensstrukturen und atypische Arbeitsverhältnisse das Bild. Und auch wenn letztere, wie eine neue Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt zeigt, keineswegs zwangsläufig als „prekär“ einzustufen sind, findet sich unter ihnen eine nicht unbeträchtliche Zahl sog. „Arbeitskraft-TagelöhnerInnen“, deren wenig glamouröse Arbeits- und Lebensbedingungen bislang kaum Gegenstand der Forschung, geschweige denn sozial- und arbeitsrechtlicher Regulierung waren.
Organisierung für den Kampf um soziale Rechte
Ein deutliches Ergebnis erbrachte die erwähnte Studie darüber hinaus im Hinblick auf den vom Großteil der Befragten artikulierten Wunsch nach einer starken Interessenvertretung. Unter den in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis Stehenden des Bereichs – und dazu zählt wohl auch eine nicht unbeträchtliche Zahl der als Ein-Personen-Unternehmen Registrierten mit Gewerbeschein – ist ein solcher Wunsch nicht zuletzt an die Adresse von Gewerkschaften gerichtet. Und nachdem die- se in der Vergangenheit v.a. durch Ignoranz gegenüber „atypischen Interessen“ aufgefallen waren, scheint hier langsam etwas in Bewegung zu geraten. Dies gilt wohl v.a. für die Interessengemeinschaften (IGs) der Gewerkschaft der Privatangestellten, die in den letzten Jahren mit Erfolgen wie den höchsten Mitglieder-Zuwachsraten im ÖGB auf sich aufmerksam machten. Sandra Stern von der work@flex, der IG für „atypisch Beschäftigte“ im engeren Sinn, macht dafür v.a. die niederschwelligen Zugangsbedingungen sowie die Möglichkeit der Selbstvertretung verantwortlich, wie sie im Rahmen der IGs im Unterschied zu traditionellen Gewerkschaftsstrukturen gegeben sind.
Aber egal ob innerhalb oder außerhalb des Gewerkschaftsapparats, die Verbesserung der sozialen Lage von atypisch Beschäftigten setzt im Hinblick auf eine Stärkung der kollektiven Verhandlungsmacht in jedem Fall die Organisierung der Betroffenen im Kultur- wie auch in anderen Bereichen voraus. Und besagte Verbesserung wird langfristig wohl einzig auf der Basis einer grundsätzlichen Transformation der sozialen Sicherungssysteme entsprechend den Veränderungen im Bereich der Arbeitswelt zu haben sein. Nur so nämlich, also „über eine Entkoppelung von Arbeit und Erwerb“ (Stichwort: bedingungsloses Grundeinkommen), wird, wie Daniela Koweindl vom Kulturrat Österreich es formuliert, „der Kampf um die Zuerkennung universeller sozialer Rechte unabhängig vom Beschäftigungs- und Aufenthaltsstatus der Betroffenen“ gewonnen werden können.
Markus Griesser beschäftigt sich – theoretisch und aktivistisch – mit politischen Strategien der Entprekarisierung, lebt und arbeitet derzeit in Wien.