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Weniger ist mehr

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(Zeitung 2006) Warum der Ausbau der Urheberrechte nicht immer im Interesse der Kulturschaffenden ist. Felix Stalder

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Theoretisch ist ja alles einfach. Starke Urheberrechte stärken die Kulturschaffenden. Ihr Einkommen wächst. Sie können sich voll und ganz auf ihre kulturelle Arbeit konzentrieren. Die Öffentlichkeit darf sich an einem reichhaltigen kulturellen Angebot erfreuen. Schön. Dies ist, mit wenigen Variationen, die Geschichte, die uns von der Verwertungsindustrie immer wieder vorgesetzt wird, wenn es um den Ausbau der Urheberrechte geht. Mehr ist immer besser. Eine schöne Geschichte, nur hat sie einen Haken: Für die überwiegende Mehrheit der Kulturschaffenden stimmt sie nicht.

Warum? Zunächst deshalb, weil der Preis, den die „Ware“ Kultur auf dem Markt erzielt, so gut wie nichts mit den Urheberrechten zu tun hat. Wenn eine Zeitschrift beim Zeilenhonorar sparen will, dann kann sie das tun, egal wie viele Rechte der/die AutorIn besitzt. Wenn ein Musiklabel einer jungen Band einen ausbeuterischen Vertrag vorlegt, dann helfen die schönsten AutorInnenrechte nichts. Wenn ein Museum argumentiert, dass es eine „Ehre“ sei, in ihrem Haus ausgestellt zu werden, und deshalb kein KünstlerInnenhonorar zahlen will, dann bleibt dem/der KünstlerIn meist nichts anderes übrig, als das zähneknirschend zu akzeptieren oder auf die Öffentlichkeit, die das Museum bietet, zu verzichten. In der Praxis wird der Preis durch das Verhältnis zwischen Kulturschaffenden und Publikum bestimmt. Je enger und reichhaltiger, desto besser. In dieser Beziehung nehmen aber die Vermittler (Verlage, Labels, Museen etc.) immer noch eine entscheidende Rolle ein, die sie durchaus zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen verstehen. Die wenigen, die etwa im Musikgeschäft zuverlässig gut verdienen, sind zumeist die Angestellten der großen Labels. Kann das ein Zufall sein?

Barrieren für die künstlerische Arbeit

Vom Blickwinkel der KünstlerInnen aus bedeuten die Verschärfung der Urheberrechte und deren aggressivere Durchsetzung, dass es immer schwieriger wird, bestehende Werke als Grundlage zur Schaffung eigener Werke zu nutzen. Immer häufiger sind sie mit Barrieren konfrontiert, an denen sie RechteinhaberInnen um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie noch so kleine Fragmente bestehender Werke verwenden wollen. Diese Erlaubnis kann ohne Begründung verweigert oder mit absurden Bedingungen gewährt werden. Und die RechteinhaberInnen sind nur in den seltensten Fällen die KünstlerInnen selbst, die ein Verständnis für die kreative Praxis haben, sondern kommerzielle Unternehmungen, die an der Maximierung ihres Einkommens interessiert sind, oder NachlassverwalterInnen, die aus Eitelkeit oder Profitgier über ein Werk wachen, das sie selbst nicht geschaffen haben, das sie aber bis 70 Jahre nach dem Ableben des/der KünstlerIn nahezu absolut kontrollieren dürfen.

Dies ist besonders problematisch, weil mit der Digitalisierung der Kulturproduktion sich auch der Schaffensprozess verändert und ganz neue künstlerische Möglichkeiten entstehen, bestehende Werke weiter zu bearbeiten. Der Unterschied zwischen kreativem Output (dem fertigen Werk) und kreativem Input (das, was zu einem Werk verarbeitet wird) beginnt sich zunehmend aufzulösen. Das solitäre Werk wird von der Vielfalt der Versionen abgelöst. Heute ist es ohne weiteres möglich, dem „Director‘s Cut“ den „viewer‘s cut“ entgegenzustellen. Aber dies ist streng verboten und so zirkulieren diese zum Teil außergewöhnlichen Werke nur im Untergrund. Wobei „Untergrund“ auf dem Internet mindestens so effizient und global ist wie alle Vertriebskanäle der Industrie.

Und genau hier liegt das Problem. Die eiserne Kontrolle über das kulturelle Erbe, das heute, wenigen weitgehend kommerziellen Archiven konzentriert ist, sichert der klassischen Verwertungsindustrie eine zentrale Position, die – dank hocheffizienter, dezentraler online Distribution –  so heute eigentlich nicht mehr zu rechtfertigen ist. Wenn wir davon ausgehen, dass die Bearbeitung bestehender Werke in einer digitalen Kultur eine zentrale Rolle spielt und dass der Ausbau der Urheberrechte die Kontrolle über diese Werke in der Hand weniger konzentriert, dann wird ein höchst bedenkliches Szenario sichtbar. Neue Kultur kann in zunehmendem Maße nur noch mit Zustimmung der RechteinhaberInnen geschaffen werden, und deren Zustimmung hängt davon ab, ob das Neue ihren bestehenden Zielen als Unternehmung oder Stiftung zuträglich ist. Uns droht, um einen Ausdruck des US-amerikanischen Rechtswissenschaftlers Lawrence Lessig zu benutzen, eine „Erlaubniskultur“, in der neue Kultur nur mit der Zustimmung der Monopolisten der alten Kultur geschaffen werden kann.

Wie weit dies schon der Fall ist, lässt sich in der Musik beobachten. Hier hat sich die Samplingkultur gespalten. Zum einen haben wir die offiziellen Künstler, die innerhalb des Musikbusiness arbeiten. In diesem Genre ist die Zahl der Samples, die etwa in HipHop-Tracks verwendet wird, in den letzten zehn Jahren merklich zurückgegangen, weil es immer schwieriger und teurer wird, Samples zu lizenzieren. Zum anderen haben wir eine blühende inoffizielle Samplingkultur, wo oft dutzende, wenn nicht hunderte von Stücken miteinander vermischt werden, um neue Werke zu schaffen. Dank Filesharing-Netzwerken ist der Zugang zu Rohmaterial so einfach wie noch nie und der Kreis derer, die sie nutzen können, so groß wie noch nie. Dass wir aber zwischen einer offiziellen und einer inoffiziellen, zwischen einer legalen und illegalen Kulturproduktion unterscheiden, müsste uns eigentlich sehr bedenklich vorkommen.

Zugang zu Kultur statt Schutzrechte für überkommene Geschäftsmodelle

In einer Welt, in der der Zugang zu (digitalisierter) Kultur so einfach und kostengünstig wie noch nie ist und neue, direkte Beziehungen zwischen Kulturschaffenden und dem Publikum entstehen können, kann es nicht im Interesse der KünsterInnen sein, dass künstliche Barrieren geschaffen werden und dass das Urheberrecht von einem Schutzrecht für UrheberInnen zu einem Schutzrecht für überkommene Geschäftsmodelle und obsolete Kontrollinstanzen umdefiniert wird.

Anstatt das Urheberrecht um- und auszubauen, ist es im Interesse gerade der jungen und weniger etablierten KünstlerInnen, es auf ein adäquates Maß zurückzustutzen. Dieses Maß beinhaltet, dass KünstlerInnen das Recht behalten, für ihre Arbeit finanzielle und soziale Anerkennung zu erhalten, aber dass die NutzerInnen uneingeschränkten Zugang zu und freien Umgang mit Werken bekommen. Diese beiden Ziele müssen kein Widerspruch sein. Sie sind vielmehr durchaus im Interesse der Kulturschaffenden, die ja nicht nur ein Publikum suchen, sondern selbst zu den intensivsten NutzerInnen gehören. Der Fundamentalismus, der heute im Bereich des Urheberrechts grassiert, macht Kulturschaffende nicht nur noch stärker von der Industrie abhängig, sondern schneidet sie auch vom Rohmaterial für die weitere kreative Arbeit ab. Das kann nicht in ihrem Interesse sein.


Felix Stalder ist freier Medienwissenschaftler und Dozent an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. Er lebt in Wien und seine Texte sind unter felix.openflows.org zugänglich.


Dieser Text steht unter dieser Lizenz: www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/at/