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1. Sozialversicherung für Kunst-, Kultur- und Medienschaffende

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(Beiträge zu: 42 Monate IMAG, eine Bilanz. Dezember 2012)

Ein praktisches Problem vieler Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden ist die Tatsache, dass viele (teilweise) kurzfristige Arbeitsverhältnisse eine Vielfalt unübersichtlicher Versicherungsverhältnisse begründen, die neben der Unübersichtlichkeit vor allem Inkompatibilitäten zu benachbarten Systemen sozialer Absicherung mit sich bringen.

Noch vor Beginn der IMAG formulierte die Schauspielerin Sabine Muhar im Zusammenhang mit der Broschüre „Prekäre Freiheiten“ (HgIn IGFT, Februar 2009) die Vision, quer zum österreichischen System der Pflichtversicherung die Möglichkeit einer ‚Sozialversicherung unter einem Dach’ für KünstlerInnen zu prüfen.

Diese Idee wurde im Rahmen der IMAG von Walter Pöltner (bm:ask) aufgegriffen, und eine Unterarbeitsgruppe nahm sich der Problematik an (mit Beteiligung der SVA und des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, nicht aber der Gebietskrankenkassen). Die Vision scheiterte bzw. erwies sich im Verlauf der Arbeitsgespräche bald als nicht umsetzbar.

Die TeilnehmerInnen der IMAG hatten aber trotz des Scheiterns der ersten großen Vision den strategischen Willen, greifbare Verbesserungen für die Arbeitsrealität von KünstlerInnen zu ermöglichen, und so wurde weiter gedacht. Herausgekommen sind zwei kleine, grundsätzlich signifikante Vorschläge für eine bessere Vereinbarkeit unselbstständiger und selbstständiger künstlerischer Tätigkeit: Mit dem KünstlerInnensozialversicherungs-strukturgesetz (KSVSG, in Kraft seit 1.1.2011) wurde die Ruhendmeldung für selbstständig künstlerische Tätigkeiten (gem. KSVFG) und ein Servicezentrum als ‚One-Stop-Shop’ für KünstlerInnen, das bei der SVA angesiedelt wurde, eingeführt.

Beide sind jedoch in der Umsetzung in mehrfacher Hinsicht problematisch.

‚Ruhendmeldung‘ – was verbirgt sich dahinter?

Selbstständig tätige KünstlerInnen haben oft keinen Zugang zum Arbeitslosengeld, auch wenn sie theoretisch durch Anstellungen Ansprüche erworben haben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ihre Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit über der Jahresgeringfügigkeitsgrenze (= Versicherungsgrenze II der SVA) von 4.515,12 Euro (Wert 2012) liegen und sie daher bei der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) pflichtversichert sind. Mit dem KSVSG können KünstlerInnen nun seit 2011 in Phasen ohne Tätigkeiten (gem. SVA) ihre selbstständige künstlerische Tätigkeit ‚ruhend stellen’ – beim Künstler*Innen-Sozialversicherungs-fonds (KSVF). Das Ruhen der Pflichtversicherung in der SVA eröffnet damit bei gegebenem Anspruch die Möglichkeit, Arbeitslosengeld zu beziehen.

Eine korrekte Ruhendmeldung ermöglicht also pflichtversicherungslose Zeiträume ohne einen rückwirkenden ‚Lückenschluss’ in der SVA-Pflichtversicherung, wenn nach Monaten ohne selbstständige Tätigkeit wieder eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen wird. Dadurch sollte nicht, wie bisher, der Bezug von Arbeitslosengeld rückwirkend wieder in Frage gestellt und beide, selbstständige und angestellte künstlerische Tätigkeit, sollten eigentlich besser vereinbar sein.

Was dem Prinzip nach einfach klingt, enthält im Einzelfall jedoch komplexe Details im Zusammenspiel von SVA, dem KSVF und den AMS-Regelungen. Das grundsätzliche Problem ist die Beschränkung auf selbstständige künstlerische Tätigkeiten gem. dem Kunstbegriff im KSVF: Jede einzelne selbstständige Tätigkeit, die seitens des KSVF nicht als künstlerisch anerkannt wird (und sei es ein einmaliges Anerkennungshonorar von 50 Euro, etwa für eine Lehr- oder Vermittlungstätigkeit, die beim KSVF nicht als künstlerische Tätigkeit gilt) lässt die Konstruktion zusammenbrechen, führt also (immer rückwirkend ab Jahresbeginn) zur inkompatiblen Situation zwischen SVA und AMS.

Tatsächlich ist die Ruhendmeldung also ein ausgesprochen kleines Instrument: Im Jahr 2011 haben nur ca. 150 KünstlerInnen die Ruhendmeldung in Anspruch genommen. In der Praxis haben sich bislang daraus beinahe mehr Probleme und Komplikationen als Erleichterungen ergeben. Zudem ist die Regelung mit einem aufwändigen bürokratischen Verfahren verbunden.

Servicezentrum in der SVA?

Gleichzeitig mit Inkrafttreten des Gesetzes sollte ein bei der SVA angesiedeltes Servicezentrum eine zentrale Anlauf-, Beratungs- und Informationsstelle für KünstlerInnen anbieten. Das ursprünglich als One-Stop-Shop für KünstlerInnen gedachte Tool erweist sich in der Praxis als Farce: Statt ein Servicezentrum einzurichten, wurde die SVA als Ganzes zum Servicezentrum umdeklariert – ohne spezifische Fort-/Ausbildung von hauseigenen ExpertInnen oder die Zurverfügungstellung eines Schalters mit besonderer Expertise für KünstlerInnen.

Wie auf diesem Weg ein spezifisches Know-how für die Belange der KünstlerInnen geschaffen werden kann, ist völlig ungeklärt. Dieses ist für eine solche Struktur jedoch genauso unabdingbar wie kontinuierlich zur Verfügung stehende ExpertInnen als AnsprechpartnerInnen.

Aktueller Stand der Dinge

Grundsätzlich haben die Neu-Regelungen im KSVSG auf eine bessere Vereinbarkeit von selbstständiger und angestellter künstlerischer Arbeit abgezielt. Darüber hinaus wäre das System auch erweiterbar auf alle neuen Selbstständigen und damit politisch interessant für eine wachsende Klientel prekär Beschäftigter. Die Brauchbarkeit des Ruhendmelden-Tools für KünstlerInnen hängt wesentlich von einer Erweiterung zumindest des Kunstbegriffs im KSVFG ab, wäre aber mit einer generellen Erweiterung auf alle Neuen Selbstständigen gelöst. Die Hoffnung auf eine rasche Erweiterung des Ruhendmelden-Tools – zum Zeitpunkt der Einführung des KSVSG noch groß – ist mittlerweile aber geschrumpft und im IMAG-Prozess derzeit nur seitens der InteressenvertreterInnen noch Thema.

Anzumerken bleibt hier noch, dass diese Arbeitsgruppe nicht nur am intensivsten und ergebnisorientiertesten gearbeitet hat, sondern wesentlich auch als institutionenübergreifende Wissenszusammenführung funktioniert hat – zuletzt auch öffentlich sichtbar mit einer Enquete im bm:ask. Die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Lösung der Inkompatibilitäten zwischen Sozialversicherungsarchitektur einerseits und Arbeitsrealitäten jenseits der Unterteilung in selbstständig und unselbstständig andererseits ist weiterhin noch offen – und bedarf einer Lösung.

Politische Forderungen für eine strukturelle Perspektive:

  • Ausweitung der Ruhendmeldung auf alle Neuen Selbstständigen
  • Grundlegende Novellierung des Künstler*Innen-Sozialversicherungsfondsgesetzes: zumindest Umsetzung des Sofortmaßnahmenpakets des Kulturrat Österreich
  • Kein Druck zur Verschiebung von anstellungspflichtigen Arbeitsverhältnissen Richtung Selbstständigkeit
  • Weiterentwicklung grundlegender struktureller Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von selbstständiger und angestellter Tätigkeit
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