(aus: Materialien zum Symposium State of the Art, Dezember 2008) … oder die Zurichtung der Einzelnen auf die Erfordernisse des Marktes. Clemens Christl
Der Umbau der Arbeitsmarktpolitik ist seit Jahren ein Schwerpunkt jeglicher Realpolitik ‒ insbesondere auch in jenen Teilen der Welt, die zu den Reichsten gehören. Die allerorts beobachtbare Beschleunigung von Entgrenzungsprozessen am Arbeitsmarkt, u.a. die Umwandlung vormals regulärer Anstellungen mit entsprechendem arbeitsrechtlichen und sozialversicherungstechnischen Begleitschutz in Transitarbeitsplätze, freie DienstnehmerInnen, geringfügige Beschäftigungsformen, neue Selbstständigkeiten usw., muss vernünftigerweise zu einem neuen Umgang mit Instrumentarien der Arbeitsmarktregulierung führen. Und auch wenn die mittlerweile anachronistisch anmutende Rede von Vollbeschäftigung, Konjunkturpaketen in der Bauwirtschaft und dem Beharren auf der Teilung der Arbeitenden in Selbstständige und Unselbstständige wie eine Endlosschleife klingt: Unter der Phrasen-Oberfläche passieren solche Veränderungen natürlich, und sie passieren weder geheim, noch von selbst. Die Parallel-Rede von der Marktsteuerung überall dort, wo sich niemand als verantwortlich deklarieren möchte, ist, bezogen auf die Formen der Arbeitsmarktregulierung, Unfug, vielleicht sogar ein bisschen mehr als sonst üblich.
Einen zentralen Stellenwert haben in jedem marktwirtschaftlichen System jene, die auf Abruf für neue Jobs zur Verfügung stehen: „arbeitswillige“ Arbeitslose. Gibt es keine, steht das ganze System am Abgrund – gibt es zu viele, nun ja, dann drohen eventuell Probleme mit dem sozialen Frieden. Gewisse Grenzen gibt es immer schon: Der marktwirtschaftlich „notwendige“ Pool an absolut rechtlosen ArbeiterInnen wird im reichen Norden vor allem durch staatsbürgerliche Grenzen festgelegt. Diese Grenzen sind verschiebbar, permanent einer Aushandlung ausgesetzt, aber ob ihrer Notwendigkeit im Kapitalismus schlicht nicht abschaffbar. Ganz generell gilt aber natürlich: Je weniger Arbeitende bezahlt bekommen, desto höher der Gewinn (zumindest solange die Arbeitenden einigermassen zufrieden und also produktiv genug sind). Während diese Auseinandersetzung um den entsprechenden Mix anderswo meist sozusagen auf Basis des Klassenkonflikts [ 1] ausgetragen/ausgekämpft wurde, gibt es in Österreich hier zentral die SozialpartnerInnenschaft.
Zum Begriff workfare [ 2]
Der Begriff workfare ist bei uns noch recht selten, das Konzept dahinter ist aber auch in Österreich auf dem Vormarsch [ 3] – mehrheitlich unter dem Begriff „Aktivierungsmaßnahmen“. Kurz gefasst, ist workfare sozusagen die Weiterentwicklung von paternalistischer welfare unter der Prämisse, dass es nur jenen gut gehen kann, die den größten Teil ihrer Zeit mit Erwerbsarbeit beschäftigt sind, im guten paternalistischen Sinn: Wer sich nicht daran hält, muss mit existenziellen Sanktionen rechnen. Wie der Begriff schon suggeriert, geht es nicht mehr zentral darum, Armut zu unterbinden oder zumindest nicht unter gewisse Grenzen fallen zu lassen (mittels welfare‒Maßnahmen), sondern generell auf „Gegenleistungen“ aufzubauen. Die Ziele unterschiedlicher workfare-Maßnahmen sind dabei ebenso verschieden wie die theoretischen und politischen Ideen der Umsetzenden.
Eine Grundprämisse ist aber jedenfalls, dass Arbeitslosigkeit und Armut nicht strukturell bedingt sind, sondern in der individuellen Verantwortung der einzelnen Arbeitslosen und Sozialhilfe-EmpfängerInnen liegen – alle unmittelbar Betroffenen von workfare-Maßnahmen also selbst daran schuld sind. Als noch viel grundsätzlicher gilt die Unterscheidung in Erwerbsarbeit und den Rest: Die im Großen und Ganzen nach wie vor von Frauen erbrachte „nicht kapitalistisch verwertbare“ Mehrarbeit im Haushalt, generell im reproduktiven Sektor, kommt nicht nur nicht zur Sprache, sondern macht alleinstehende Frauen mit Kinderbetreuungs- oder Altenpflegepflichten in der Regel zur besonderen Zielgruppe solcher Maßnahmen. Die Betreuungsarbeit übernimmt niemand anders; gleichzeitig fehlt die Zeit für Erwerbstätigkeit, Ausbildung (die immer noch einigermassen schützt) oder Jobsuche jenseits der Billigstarbeit – und für die bezahlte Auslagerung der Pflichten fehlt das Geld.
Missbrauchsdebatte
Ein ausgesprochen rund laufender Motor in der Forcierung von workfare liegt sicher in der vielfältigen Verwendung von „Missbrauch“ und „Privileg“. Das Problem ist sozusagen ein doppeltes: einerseits das herkömmliche Buckeln und Treten – Missbrauch passiert nur durch die anderen; andererseits das Abschieben auf das Individuum – jeder kleine Widerstand wird zum Missbrauch. Ersteres ist ein Wesensmerkmal – vermutlich nicht nur – des Kapitalismus: Um die eigene Unterdrückung leichter aushalten zu können, braucht es welche, denen es noch schlechter geht – oder gehen soll. Da handelt es sich natürlich in der Regel nicht um Individuen, sondern um durch bestimmte Zuschreibungen gruppierte Sammelidentitäten, z. B. MigrantInnen oder eben auch („faule“) Arbeitslose. Die zweite Variante des Problems kommt sozusagen komplementär am Arbeitsamt zum Tragen: Sowohl gesetzlich als auch bei den BetreuerInnen am AMS wird „fehlende Arbeitsbereitschaft“ seitens der Arbeitslosen meist vorausgesetzt, wodurch jeglicher Widerstand sofort als „fehlende Arbeitsbereitschaft“ klassifiziert wird: eine Self-fulfilling prophecy.
Symptomatisch greift die Missbrauchsdebatte nie dort, wo sie durchaus angebracht wäre: Saisonarbeiterplätze – in Österreich vor allem in der Bau- und Tourismuswirtschaft – werden schon jetzt großzügig durch Arbeitslosengeld gestützt: Das Geld geht aber nur mittelbar an die vorübergehend Arbeitslosen – im Großen und Ganzen sparen sich hier die DienstgeberInnen große Teile der zu zahlenden Löhne auf Kosten der in die Arbeitslosenversicherung Einzahlenden. So ist es auch kein Zufall, dass unter dem Vorzeichen der Wirtschaftskrise Vorschläge wie Bezahlung der Löhne von nun massenhaft freigesetzten „LeiharbeiterInnen“ durch das AMS nicht unter der Prämisse des Missbrauchs zurückgewiesen werden – sondern mit begrenzten Geldmitteln aus dem Topf der Arbeitslosenversicherung dagegen argumentiert wird.
Besonders gern herhalten müssen hingegen jene Teile der Arbeitenden, die durch strukturelle Maßnahmen in der Bildungs- wie Kulturpolitik [ 4] schon lange dazu gezwungen sind, Arbeitslosengeld als Teil ihres Einkommens zu betrachten.
Gesellschaftliche Dominanz
Kurt Wyss definiert drei zentrale unterschiedliche Zugänge zu workfare, wobei er von vornherein einräumt, dass diese weder theoretisch, noch praktisch sauber auseinanderzuhalten sind:
(1) Der neoliberale [ 5] Zugang, bei dem vergebene Sozialleistungen grundsätzlich als Falle für die BezieherInnen gesehen werden: Gäbe es keine Sozialleistungen, wären alle gezwungen, Geld zu erwirtschaften – ergo würden sie es auch tun (Stichwort Armutsfalle – gewendet). Grundsätzliches Ziel ist entsprechend, Sozialleistungen abzuschaffen – gesellschaftspolitisch vereint mit dem Ziel einer autoritär organisierten Gesellschaft sind alle Maßnahmen willkommen, die Zwang und insbesondere Ausschlüsse aus Sozialleistungen beinhalten (z.B. Sozialhilfe auf eine fixe Anzahl von Monaten in der Lebenszeit zu beschränken: Wer länger darauf angewiesen wäre – Pech gehabt (Realität z.B. in der USA/ lifetime-limit).
(2) Der neokonservative Zugang, nach dem frei (ohne Gegenleistung) vergebene Sozialleistungen die Wettbewerbsfähigkeit der Einzelnen untergraben. Sprich, wer sich ausruhen kann, verliert die Motivation, alle Chancen auf Selbsterhalt durch Arbeit zu nutzen. Hauptsächliches Ziel von workfare-Maßnahmen ist es, die „Arbeitsmoral“ aufrecht zu erhalten, also möglichst alle permanent zumindest zu Anwesenheit zu verpflichten. Daneben geht es um den möglichst effizienten Einsatz vorübergehend Unbeschäftigter für gesellschaftlich notwendige Leistungen sowie natürlich um einen zu erzeugenden Lohndruck für höhere Gewinne (Stichwort Ein-Euro-Jobs).
(3) Der „new-labour“-Zugang, sozusagen die sozialistische oder sozialdemokratische Variante: Unter der Prämisse, dass alle permanent zur Selbstständigkeit erzogen werden müssen und Arbeitslose es einfach noch nicht geschafft haben, ihren Möglichkeiten entsprechend ihren Platz in der „Erwerbsgesellschaft“ zu finden, geht es vor allem um die Forcierung von Bewerbungs- und Coaching-Maßnahmen sowie um Fortbildungen. Der Bezug von Sozialleistungen ohne Zwang führt unter dieser Prämisse zur Einstellung des individuellen Bemühens, aus den sich bietenden Chancen etwas zu machen – ganz ähnlich also den neoliberalen Theorien.
Diese theoretische Trennung ergibt nun ein deutliches Bild der aktuellen Dominanz von workfare-Maßnahmen: Wie es gedreht oder gewendet wird, es tun immer alle mit, solange bei Strafe aktiviert wird. Dabei ist es ja so, dass die öffentliche Arbeitsverwaltung heute eines der wichtigsten – nur bedingt als solches wahrgenommenen – Werkzeuge zum Abbau sozialer Errungenschaften ist (die von der ArbeiterInnenbewegung erkämpft wurden – in Österreich vor allem Resultat der SozialpartnerInnenschaft). Der Druck am Arbeitsamt, immer miesere Arbeitsbedingungen, weniger Lohn, Leiharbeit, Gratisarbeit zu akzeptieren, funktioniert nicht nur als Instrument zur Konditionierung der (Noch-)Arbeitenden, sondern selbstverständlich auch als Einstimmung auf neue Realitäten in der Arbeitswelt: Was gestern noch undenkbar schien, wird heute schon munter gefordert.
Clemens Christl ist Mitarbeiter des Kulturrat Österreich und war als solcher an der Konzeption und Durchführung des Symposiums „State of the Art – Arbeit in Kunst, Kultur und Medien” beteiligt.
Anmerkungen:
[ 1] In erster Linie zwischen „normalen“ LohnarbeiterInnen und ihren DienstgeberInnen. Wer in dem Raster keinen Platz findet, hat auch meist nicht davon profitiert.
[ 2] Im folgenden stütze ich mich vor allem auf Kurt Wyss: Workfare, Zürich 2007, welches einen guten Überblick bietet.
[ 3] Das Konzept ist natürlich nicht eigentlich neu: Grundsätzlich gilt die Idee schon für die Einführung der ersten „Arbeitshäuser“ im England des Frühkapitalismus. Neu ist im Grunde genommen die wiedergewonnene Hegemonie des Konzepts, und der Kontext, in den es implementiert werden sollte.
[ 4] Z. B. überall dort, wo Förderungen und Subventionen nicht an arbeitsrechtliche Standards angelehnt sind, sondern im Gegenteil Kreativität bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen und Bezahlungen notwendig machen. [ 5] Im Sinne der leichteren Verständlichkeit folge ich Kurt Wyss Typologie mit der Einschränkung, die Begriffe neoliberal und neokonservativ zu tauschen.