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Kulturpolitischer Handlungsbedarf – jetzt!

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(Offener Brief der ARGE Kulturelle Vielfalt vom 20. September 2017) Anlässlich der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 wenden sich Mitglieder der ARGE Kulturelle Vielfalt in einem Offenen Brief an alle wahlwerbenden Parteien betreffend die „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“.

Die ARGE Kulturelle Vielfalt ist die Dialogplattform der Österreichischen UNESCO-Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft am Prozess der Umsetzung der UNESCO-Konvention 2005. Sie repräsentiert über 350.000 Kunst- und Kulturschaffende und über 500 Kunst- und Kulturverbände in Österreich.

Der Offene Brief wurde im Rahmen der Diskussionsveranstaltung Kultur sucht Politik am 20. September 2017 veröffentlicht.

OFFENER BRIEF

Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte potentielle zukünftige Abgeordnete und Regierungsmitglieder!

In wenigen Wochen werden bei der Nationalra­tswahl die kulturpolitischen Weichen für die nächsten fünf Jahre neu gestellt. Wir, Mitglieder der ARGE Kulturelle Vielfalt der Österreichischen UNESCO-Kommission, die mehr als 350.000 Kunst- und Kultur­schaffende und über 500 Kunst- und Kulturverbände in Österreich vertreten, erinnern ausdrücklich daran, dass Österreich der „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ beigetreten ist (BGBl III Nr.34/2007).

Die Republik hat sich damit verpflichtet, alle erforderlichen Schritte zu setzen, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Vielfalt in Kunst, Kultur und Medien frei entfalten kann und die künstlerisch-kulturellen Wahlfreiheiten jedes einzelnen Mitglieds in der Gesellschaft gestärkt werden. Es geht um eine Kulturpolitik des Ermöglichens, die der fortschreitenden Kommerzialisierung des Kunst- und Kultur­bereichs aktiv entgegenwirkt. Dies ist sowohl ein kulturpolitisches Bekenntnis, als auch ein konkreter Arbeitsauftrag – auch an die nächste Bundesregierung.

Konkrete Maßnahmen und Strategien müssen im Regierungsprogramm verankert werden, um die Bestimmungen und Ziele der Konvention umzusetzen. Wir appellieren daher an die nächste Bundesregierung:

  • Kunst und Kultur auf MinisterInnenebene vertreten
    Kunst und Kultur müssen auf Bundesebene in einem eigenen Ressort angesiedelt und durch eine/n sachkundige/n MinisterIn vertreten sein.
  • Strukturelle Einbeziehung der Zivilgesellschaft
    Eine konsequente Einbeziehung der Expertise von Kunst- und Kulturschaffenden sowie ihrer Interessenvertretungen in kulturpolitische Entscheidungsprozesse muss selbstverständlich sein. In diesem Sinne müssen strukturelle Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft für eine transparente, faktenbasierte und partizipative Politikgestaltung entwickelt und etabliert werden!
  • Bessere soziale Absicherung schaffen
    Die soziale Absicherung von Kunst- und Kulturschaffenden muss verbessert werden. Das Kunst- und Kulturressort muss es sich zur zentralen Aufgabe machen, für die Umsetzung geeigneter Maßnahmen zu sorgen, die der zunehmenden Prekarisierung entgegenwirken. Insbesondere gilt es die seit vielen Jahren bestehenden Probleme im Zusammenspiel von selbstständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit sowie erwerbslosen Phasen zu lösen. Auch Krankengeld, Selbstbehalte, Pensionsversicherung, Betreuung von erwerbslosen KünstlerInnen und KünstlerInnensozialversicherungsfonds bieten Herausforderungen für Verbesserungsmaßnahmen.
  • Angemessene Bezahlung für Kunst- und Kulturarbeit
    Mindeststandards zur Abgeltung künstlerischer Arbeit müssen verankert werden – auch als Voraussetzung für die Förderung von Kunst und Kultur mit öffentlichen Mitteln.
  • Gerechte Anteile für die UrheberInnen und Leistungsschutzberechtigten
    Die bestehende Unausgewogenheit der Verhandlungsmacht zwischen Kreativen und VerwerterInnen muss durch ein UrheberInnenvertragsrecht ausgeglichen werden. Die Abschaffung der cessio legis für FilmschauspielerInnen ist überfällig. Eine Ausstellungsvergütung muss verankert werden.
  • Kunst und Kultur in den ORF
    Standards zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Kultur- und Bildungsauftrags des ORF müssen verbindlich definiert und umgesetzt werden. Kunst- und Kulturschaffende sind mit Sitz und Stimme in die Entscheidungsgremien des ORF einzubeziehen.
  • Vielfalt von Kunst und Kultur finanziell sichern
    Die Kunst- und Kulturförderung ist danach auszurichten, die Vielfalt des zeitgenössischen Kunstschaffens zu sichern! Auch eine deutliche Ausweitung und kontinuierliche Valorisierung der zeitgenössischen Kunst- und Kulturförderung ist notwendig – auch, um faire Bezahlung von Kunst- und Kulturschaffenden zu gewährleisten.
  • Mobilität statt Barrieren
    Die Mobilität von KünstlerInnen und künstlerischen Produktionen ist im Sinne der kulturellen Vielfalt zu fördern. Für Kunst- und Kulturschaffende aus sog. EU-Drittstaaten, die in Österreich temporär tätig sein wollen, sind verfahrenstechnische Erleichterungen vorzusehen. Fremden- und beschäftigungsrechtliche Mobilitätsbarrieren sind ebenso abzuschaffen wie steuerliche Hürden (z.B. AusländerInnensteuer). Entsprechende Maßnahmen gilt es auch auf europäischer Ebene durchzusetzen.
  • Keine Liberalisierungen im Kunst-, Kultur- und Medienbereich
    Entschieden entgegenzutreten ist weiteren Liberalisierungsversuchen und Liberalisierungen im Kunst-, Kultur- und Medienbereich durch internationale Handelsabkommen! Vielmehr sind Kunst und Kultur durch technologieneutrale, horizontale Ausnahmen in sämtlichen bi- und plurilateralen Handelsabkommen zu schützen.
  • Kulturelle und kreative Bildung stärken
    Kulturelle und kreative Bildung im regulären Schulsystem müssen gestärkt, die dafür erforderlichen Standards, Rahmenbedingungen und Qualifizierungen geschaffen werden. Insbesondere für Kunstsparten, die in Schulcurricula nicht enthalten sind, gilt es Angebot und Zugang zu schaffen.

Die „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ ist kein Schönwetterprogramm. Sie ist eine völkerrechtliche Verpflichtung, die Österreich freiwillig und auf Dauer eingegangen ist. Im kommenden Regierungsprogramm muss sich diese Verpflichtung widerspiegeln – im Interesse der gesamten Gesellschaft, nicht nur im Interesse der Kunst- und Kulturschaffenden in Österreich.

Nähere Ausführungen zu unseren Forderungen finden Sie online im Schluss­kommuniqué der Klausurtagung Kulturelle Vielfalt

Gerne stehen wir auch für persönliche Gespräche zur Verfügung.

Es geht nicht an, dass sich Österreich verpflichtet hat, die Konvention umzusetzen und gleichzeitig Gesetze beschließt, die im klaren Widerspruch zu den Zielen der Förderung kultureller Vielfalt stehen. Dies gilt auch für die anderen Kulturkonventionen, die Österreich ratifiziert hat. Die nächste Bundesregierung wird daran gemessen werden, wie sie mit den Kunst- und Kulturschaffenden dieses Landes umgeht und welchen Beitrag sie zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen leistet. Welche Maßnahmen wird sie setzen, um tatsächlich der Umsetzung der UNESCO-Konvention nachzukommen?

Mit freundlichen Grüßen,

Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden
Anna Maria Kollmann

IG Autorinnen Autoren
Gerhard Ruiss

IG Bildende Kunst
Daniela Koweindl

IG Freie Theaterarbeit
Ulrike Kuner

IG Kultur Österreich
Gabi Gerbasits

IG Übersetzerinnen Übersetzer
Brigitte Rapp

IKM – Institut für Kulturmanagement und Gender Stud ies / MDW
Franz Otto Hofecker

KulturKontakt Austria
Sirikit Amann

Kulturrat Österreich
Anna Maria Kollmann

Künstlerhaus – Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler
Kurt Brazda

KUPF – Kulturplattform Oberösterreich
Thomas Diesenreiter

mica – music austria
Sabine Reiter

Musikergilde
Peter Paul Skrepek

österreichische kulturdokumentation. internationales archiv für kulturanalysen
Veronika Ratzenböck

Österreichischer Komponistenbund
Alexander Kukelka

Österreichischer Musikrat
Harald Huber

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