(aus: Materialien zum Symposium State of the Art, Dezember 2008) Mag Wompel zu Erwerbslosigkeit am deutschen Arbeitsmarkt
Am 1.1.2005 war es soweit. Die rot-grüne Bundesregierung hat das vorerst letzte einer Reihe von neuen Arbeitsmarktgesetzen in Kraft gesetzt. Die Gesetze heißen im Volksmund einfach Hartz-Gesetze, weil der VW-Personalchef Peter Hartz Vorsitzender der Kommission war, welche diese Gesetze entwickelt hat. Diese Neuregelung begann im Jahr 2003 und stellt den größten Angriff auf Löhne und Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten seit Bestehen der Bundesrepublik dar. Vorbereitet wurden diese Angriffe über eine erneute Debatte um die angebliche Faulheit der Langzeiterwerbslosen. Durch die Presse geisterten permanent „Beispiele“ von so genannten faulen Arbeitslosen, die den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland aufs Schändlichste ausnutzen. Dies wurde geschickt von Politikern eingesetzt, um die durch Steuersenkungen für das Kapital hausgemachte „Unbezahlbarkeit“ der sozialen Sicherungssysteme deutlich zu machen. Herausgekommen ist, dass von den Gesetzen eine Vielzahl von Menschen betroffen ist, die sich bisher in sozialer Sicherheit wiegten.
Die Hartz-Gesetze
Bei Verlust des Arbeitsplatzes gab es bisher bis zu 3 Jahre Arbeitslosengeld und danach, notfalls bis zur Rente, Arbeits sich losenhilfe. Die Höhe der Leistung richtete nach den vorher eingezahlten Versicherungsbeiträgen, betrug ca. 2/3 des vorhergehenden Einkommens und sollte den Arbeitnehmer im Falle der Erwerbslosigkeit „versichern“ sowie seinen bisherigen Lebensstandard, wenigstens annähernd, sichern helfen. Dies hat sich nun radikal geändert.
So kann ein älterer Arbeitnehmer, der seit der Jugend durchgängig gearbeitet und in die sozialen Kassen eingezahlt hat, unter Umständen bereits nach einem Jahr der Zahlung von Arbeitslosengeld auf dem Niveau der bisherigen Sozialhilfe landen. Er erhält nun „bedarfsorientierte“ Leistungen, die bisher bekam, wer noch nie gearbeitet und keine Beiträge eingezahlt hat. Zudem wird jedoch zuvor geprüft, ob die Person noch über finanzielle Reserven verfügt, die zuerst verbraucht werden können (private Altersvorsorge, Eigentum). Es wird aber auch geprüft, ob und wie er mit jemandem zusammenlebt, wie groß die Wohnung ist, was der Partner verdient usw. Viele fallen auf diese Art und Weise vollkommen aus dem „sozialen Netz“ heraus, falls z.B. der Partner arbeitet oder eine Rente bezieht. Dies trifft besonders hart ältere und/oder kranke und behinderte Erwerbslose, die auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben. Besondere Härten gibt es aber auch für Jugendliche und Frauen.
Erwerbslose Menschen unter 25 Jahren sollen sofort in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden. Klappt dies nicht – und das ist in der Regel leider der Fall –, soll den Betroffenen zumindest ein sog. 1-EuroJob für 1 bis 2 € pro Stunde angeboten werden, der nicht qualifiziert; vielmehr wird eine künftige Generation von Sozialgeld-Beziehern geradezu „herangezüchtet“. Im Gegenzug für diese „verstärkten Bemühungen“ um junge Menschen müssen diese auch mit härteren Sanktionen rechnen, wenn sie eine Arbeit oder Ausbildung ablehnen: Ihnen wird dann für drei Monate die Geldleistung gestrichen („Fördern und Fordern“). Durch die verschärfte Anrechnung von Partnereinkommen gelten viele Erwerbslose nicht mehr als „bedürftig“ – so werden vor allem Frauen aus dem Leistungsbezug ausgegrenzt und auf das untaugliche und überholte Modell des männlichen Familienernährers verwiesen oder in nicht sichernde Mini-Jobs gedrängt. Viele gelten so nicht mehr als arbeitslos oder verlieren Ansprüche. Z.B. hatten Frauen, die in ein Frauenhaus fliehen mussten, bisher Anspruch auf Sozialhilfe. Jetzt werden sie zu ihrer Existenzsicherung an ihre – schlagende – „Bedarfsgemeinschaft“ zurückverwiesen. Oder eine Alleinerziehende mit zwei schulpflichtigen Kindern, nun Alg II-Bezieherin, in einer Zuschrift an das LabourNet Germany: „Ich bin 53 Jahre, gut ausgebildet, habe meine drei Kinder zu ordentlichen Menschen erzogen, eins ist schon „fertig“, mache das alleine, bin seit drei Jahren arbeitslos, verschuldet, habe meinen heute 17-jährigen Sohn drei Jahre wegen einer schweren Krankheit gepflegt, die beiden jüngeren Kids gehen zur Schule. Unterhalt vom Vater bekomme ich nicht. Meine Kinder – so hat die Stadt Köln nun entschieden – sind seit dem 1.1.2005 durch Hartz IV keine Sozialhilfeempfänger mehr und bekommen deshalb auch keine Ermäßigung für städtische Einrichtungen. Auch nicht für die Musikschule…“
Damit nicht der Probleme genug. Um den Bedarf nach staatlicher Unterstützung festzustellen, haben sich die Behörden einen 18-seitigen, komplizierten Fragebogen ausgedacht. Er überforderte viele Antragsteller und rief zudem die Datenschützer auf den Plan. Doch die Probleme für die Antragsberechtigten halten auch nach erfolgreicher Abgabe des Antrages an: Zahlreiche Betroffene hatten selbst Ende Januar noch keine Leistungen auf dem Konto. Rund 90 Prozent aller ALG II-Bescheide, die bei den Beratungsstellen vorgelegt werden, sind fehlerhaft. Viele Lebenslagen werden im neuen Leistungsrecht überhaupt nicht berücksichtigt, viele Leistungen nur noch als Darlehen gewährt.
Für die Betroffenen sind die unübersichtlichen Bescheide kaum prüfbar. Werden Fehler erkannt, fehlt aus Angst vor Benachteiligungen häufig der Mut zu Klagen. In den Beratungsstellen der Erwerbslosen landen täglich Hunderte von falsch erstellten Bescheiden. Den Betroffenen werden zwischen 10 € und in Einzelfällen sogar bis zu 500 € zu wenig Geld ausgezahlt. Bei voraussichtlich rund 3,5 Mill. ALG II-Beziehern, ausgehend von einer Fehlerquote von nur 75 %, bei einer durchschnittlichen zu niedrigen Zahlung von nur 15 €, kommen wir auf einen Betrag von 39,37 Mill. €, die den Betroffenen Monat für Monat zu wenig ausgezahlt werden. Auf ein Jahr gerechnet ergibt dies 472 Millionen €. Ein Zufall?
Zu den häufigsten Problemen mit den Bescheiden zählt, dass die zusätzlich zu Alg II zu zahlenden Kosten für die Unterkunft nicht in voller Höhe übernommen werden. Mitte 2005 – nach Ablauf einer Übergangsfrist – „durften“ viele zwangsweise umziehen. Denn Miet- und Nebenkosten werden nur dann bezahlt, wenn sie „angemessen“ sind. Was nun genau „angemessen“ ist, hängt laut Bundesagentur für Arbeit von den örtlichen Gegebenheiten ab und wird unterschiedlich gehandhabt. Es sind Fälle von Umzugsaufforderungen bekannt, um z.B. knapp über 10 € im Monat zu sparen. Diese mangelnde Verhältnismäßigkeit ist mit der Gefahr der Ghettobildung für Langzeiterwerbslose verbunden.
Ein weiteres Problem für die Betroffenen und Einsparpotential für den Staat besteht in der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln. Die Beweislast ist für alle umgekehrt worden: Die Jobsuchenden müssen belegen, warum sie eine Stelle nicht antreten können. Gelingt ihnen das nicht, werden die Bezüge gekürzt oder sogar gestrichen. Längst gibt es keinen Berufsschutz, und theoretisch ist auch die Vermittlung von Frauen in den legalisierten Beruf der Prostituierten nach einem Jahr der Arbeitslosigkeit möglich. Auch die zumutbare Entlohnung wird weiter herabgesetzt bis auf 30 Prozent oder mehr unter dem Branchenniveau.
Eng mit der Zumutbarkeit verbunden sind die 1-Euro-Jobs, sog. Arbeitsgelegenheiten. Die dienstverpflichteten Arbeitslosen erhalten weiterhin ALG II zuzüglich einer „Aufwandsentschädigung“ von maximal 2 € pro Arbeitsstunde. Bei dieser aus der Sozialhilfe übernommenen Variante der Pflichtarbeit wird kein Arbeitsverhältnis begründet, d.h. Arbeitnehmerrechte sind weitgehend außer Kraft gesetzt, und keine Ansprüche an die Sozialversicherungen erworben. Wer sich weigert oder eine Arbeitsgelegenheit abbricht oder eine „Kündigung“ zu verantworten hat, dem wird die Leistung gekürzt, letztlich ganz gestrichen – was bei jungen Erwachsenen bis 25 Jahre sogar unmittelbar beim ersten „Fehlverhalten“ vorgesehen ist.
Diese Jobs dienen dem Testen der Arbeitswilligkeit der Betroffenen und den damit verbundenen Einsparpotentialen durch Leistungssperren. Zugleich sollen sie aber ein hausgemachtes Problem der Länder und Kommunen lösen. Denn sie werden in Dienstleistungsbereichen der öffentlichen Hand angeboten, in denen viele gesellschaftlich notwendige Arbeiten den Sparmaßnahmen zum Opfer fielen. Vielen der Entlassenen aus Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen etc. kann drohen, nach einem Jahr ihre Arbeit an gleicher Stelle für 1 Euro wieder aufzunehmen. Hierin wird der Angriff auf das Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen aller am deutlichsten. So verwundert es nicht, dass nun die Wirtschaftsverbände vehement fordern, diese Zwangsjobs auch auf die Privatwirtschaft auszuweiten…
Um diese Schicksale von Millionen von Betroffenen kümmern sich weder der Staat, noch die Arbeitsagentur, während öffentlich der Streit um die Rekord-Erwerbslosenzahlen tobt.
Die Debatte um die ohnehin politisch ermittelten Statistiken soll ablenken von der bestehenden Armut trotz Arbeit und eine weitere Senkung der sozialen Sicherung vorbereiten.
Doch die nun einzusparenden sozialen Leistungen für die Opfer des Wirtschaftssystems wurden bereits mehrfach als Wirtschaftssubventionen ausgeschüttet, ohne jemals einen Arbeitsplatz geschaffen zu haben. Kaum jemand kommt auf die Idee, dass sowohl eine, fünf oder auch acht Millionen Erwerbslose eines zeigen: nicht diese entwürdigten Menschen sind faul, sondern das System.
Weitere „Optimierung“ der Verfolgungsbetreuung
Das „Hartz IV“ genannte Gesetz wurde 2006 zudem „optimiert“. „Optimiert“ wurde nämlich:
1) die juristische Stellung der Arbeitsagenturen und ihres Ziels, möglichst viele Menschen aus dem Leistungsbezug hinauszudrängen, denn immer mehr Sozialgerichte und Datenschutzbeauftragte bestätigen, dass die Behandlung der Erwerbslosen rechtswidrig ist. Nun soll also die Rechtsprechung an die rechtswidrige Praxis angepasst werden;
2)die finanzielle Lage des Bundes zu Lasten der Anspruchsberechtigten. Breit medial begleitet mit einer offensichtlichen Lüge eines drastischen Einsparbedarfs (denn in Wirklichkeit erwirtschaftet die BA durch Abschreckung, unterlassene Förderung und Sperrzeiten schon jetzt Überschüsse von mind. 4 Mrd. Euro) sollen etliche Änderungen bewirken, dass noch weniger Erwerbslose als bisher überhaupt Arbeitslosengeld bekommen;
3)die pauschale Missbrauchsunterstellung durch „optimierte“ Kontrolle und Sanktionen. Die wichtigsten Verschärfungen sind:
- Abschreckung durch „Sofortangebot für Kunden ohne bisherigen Leistungsbezug”. Damit gemeint ist, potenziellen Antragstellern zunächst eine „Maßnahme” anzubieten, bevor sie einen Antrag ausgehändigt bekommen, geschweige denn Leistungen erhalten.
- Drastische Verschärfungen bei Sanktionen bis in die Unterkunftskosten und strengere Unterhaltsregeln.
- Umkehrung der Beweislast bei der eheähnlichen Gemeinschaft.
- Verschärfte Ausspitzelung von SGB II-Beziehern durch Verankerung eines Außendienstes zur Durchführung von Hausbesuchen, Ausweitung der Telefonkontrollen und erleichterter Datenabgleich der Behörden bis hin zu Finanzbehörden und KFZ-Bundesamt.
- Reduktion von Unterkunftskosten auf die bisherigen Kosten, wenn ohne Zustimmung des Leistungsträgers umgezogen wurde.
Doch wer immer noch glaubt, ihr/sein Arbeitsplatz sei sicher und die Gefahr einer derartigen Behandlung gering, sei versichert, dass es auch damit dem Kapital nicht genug ist, denn demnächst geht es darum, „arbeitsfähigen” Leistungsbeziehern die Regelleistungen weiter zu kürzen, um so „einen Anreiz zur Aufnahme niedrig entlohnter Tätigkeiten zu schaffen” (Alexander Gunkel/BDA). Und langfristig soll dieses staatlich finanzierte Lohndumping durch entrechtete 1-Euro-Jobs und Kombilöhne lediglich als „trojanisches Pferd“ (Stihl/DIHT) für echte Niedriglöhne dienen!
1-€-Jobs
Dabei handelt es sich um „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ (MAE) von eben einem Euro bis 1,50 Euro pro Stunde zusätzlich zum neuen Arbeitslosengeld II (Alg II). Mehraufwandsentschädigung bedeutet, dass es sich um keinen Lohn handelt, weil auch kein Arbeitsverhältnis und damit kein Anspruch auf Übernahme, Urlaubsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall entsteht. Kein Arbeitsverhältnis, keine Arbeitsrechte.
Bei Weigerung einen solchen Job anzunehmen, droht zunächst die Kürzung der Regelleistung von 345 Euro um 30% für drei Monate und bei wiederholter Ablehnung um 60%. Jugendlichen unter 25 wird für diese Zeit das Alg II komplett gestrichen. Doch während einige versuchen gegen diese Zwangsdienste zu klagen, suchen viele aktiv nach solchen Jobs – einfach weil die Grundsicherung vorne und hinten nicht ausreicht.
Während die Erwerbslosen max. 1,50 Euro je Stunde bekommen, erhalten ihre „Arbeitgeber“ ca. 350 Euro je Monat für Verwaltungskosten und den lt. Gesetz mit diesen Jobs verbundenen Qualifizierungsanteil. Dieser „Aufpreis“ führte zur massenhaften Nachfrage bei den Beschäftigungsträgern und oft auch zur „Weiterverleihung“ dieser Billigkräfte an Wohlfahrtsverbände, Schulen, Kirchengemeinden und weitere Einrichtungen des sozialen Hilfesystems, meist an Arbeitsplätze, die zuvor aus Sparmaßnahmen gekündigt wurden. Doch von Qualifizierung kann in den seltensten Fällen die Rede sein, zumal die meisten JobberInnen bereits Fachkräfte sind.
Dies entspricht der Intention der neuen „Beschäftigungspolitik“, nicht Qualifikationen zu erhalten und auszubauen, sondern diese zu testen und zu vernutzen; nicht in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, sondern die Arbeitslosenstatistik wie auch die Leistungen zu minimieren.
Bei den Arbeiten, die den Erwerbslosen im Rahmen von 1-Euro-Jobs nach § 16, Abs. 3 des neuen Zweiten Sozialgesetzbuches SGB II zugewiesen werden, muss es sich um „zusätzliche“ handeln, also die sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet würden. Für den Einsatz von 1-Euro-Arbeitskräften in den Kommunen bedeutet das: Es reicht lt. Gesetz eigentlich nicht, wenn eine Kommune mit Hinweis auf bestehende finanzielle Engpässe pauschal erklärt, die von den 1-Euro-Kräften ausgeführten Arbeiten würden sonst nicht oder nicht in diesem Umfang durchgeführt. Entsprechendes gilt für die Zuweisung einer 1-Euro- Kraft an einen freien Träger. Mit Blick auf die Arbeit in Pflegeheimen oder Krankenhäusern gilt ebenfalls, dass insbesondere alle Arbeiten, die notwendig werden, um die Anforderungen der Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen oder auch Hygienevorschriften zu erfüllen, notwendige und damit nicht zusätzliche Arbeiten sind. Auch können nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II nur solche Arbeiten im Rahmen von 1-Euro-Jobs zugewiesen werden, die „im öffentlichen Interesse liegen“.
Genau diese Vorgaben werden aber in den meisten Fällen verletzt. Die Zusätzlichkeit wird tagtäglich durch kommunale Sparmaßnahmen und (selbst geschaffene) Sparzwänge täglich aufs Neue produziert mit jeder Entlassung und jeder geschlossenen Einrichtung. An Schulen arbeiten z.B. viele erwerbslose Lehrer als 1-Euro-Betreuung und Hausaufgabenhilfen. Viele entlassene PflegerInnen landen nach einem Jahr im gleichen Job – nur rechtlos und unbezahlt. Gleiches gilt für das Gebot der Gemeinnützigkeit, die immer weiter gefasst wird, z.B. bis hin zu Aufgaben der Sicherheit im (privatisierten!) Öffentlichen Personennahverkehr.
Schon immer dienten Trainingsmaßnahmen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Praktika etc. auch zum Testen der Arbeitswilligkeit oder zur Disziplinierung „aufmüpfiger“ Erwerbsloser. Mit den 1-Euro-Jobs besteht nun die Möglichkeit, diese Ziele mit handfesten wirtschaftlichen Vorteilen zu verknüpfen. Doch angesichts der durch die Arbeitsagenturen ungeprüften Durchführung dieser Maßnahmen bleibt es den Beschäftigungsträgern überlassen, ob sie für die beantragten und bewilligten 1-Euro-Jobs Einsatzmöglichkeiten und damit Zusatzprofite suchen oder sich mit der Aufwandsentschädigung begnügen und die JobberInnen sich selbst überlassen (und damit nebenbei der Verdrängung regulärer Jobs entgegen wirken).
Es hängt von den Einsatzstellen und der Persönlichkeit der JobberInnen ab, welche der Lösungen ihnen lieber ist, den Job selbst können sie so oder so nur bei Strafe einer Sperre ablehnen.
1-Euro-Jobs haben – wie auch der staatliche Verleih über Personal-ServiceAgenturen (PSA) – die eindeutige Funktion des Lohndumpings. Sie wirkt sich aber vorrangig im Bereich des Öffentlichen Dienstes aus, in der privaten Wirtschaft „nur“ als Abschreckung vor den Folgen der Erwerbslosigkeit und damit als Anreiz zu weiterem Verzicht auf tarifliche und übertarifliche Standards zur „Sicherung“ des Arbeitsplatzes.
Getrieben vom Wunsch nach weiterer Senkung der Lohnnebenkosten schreien die Arbeitgeber aber weniger nach der Ausweitung von 1-Euro-Jobs auf alle Wirtschaftsbereiche als nach staatlichen Zuschüssen zu Niedriglöhnen in Form von Kombilohn. Die aktuelle Debatte um weitere Senkung der Lohnersatzleistungen für Erwerbslose soll, verbunden mit Erweiterung der Zuverdienstmöglichkeiten, diesem Wunsch den Boden bereiten. Langfristig ist damit zu rechnen, dass staatliche Subventionen zu einem insgesamt abgesunkenen Lohnniveau den Einsatz von 1-Euro-Jobs ablösen werden, denn erstens wäre dies eine breiter angelegte, nicht nur Langzeitarbeitslose betreffende „Lösung“ und zweitens ist der dauerhafte Einsatz von 1-Euro-Jobs zu teuer aus der Sicht eben dieser Lohnnebenkosten.
1-Euro-Arbeitsgelegenheiten sind damit offensichtlich ein arbeitsmarktpolitischer Unsinn. Sie deregulieren Arbeitsverhältnisse, sie ruinieren die Standards des sozialen Hilfesystems und sie ersetzen bereits reguläre Arbeitsverhältnisse bis in den Fachkräftebereich.
Das Einsparungspotential der Hartz-Gesetze liegt auf mehreren Ebenen:
a) Grundsätzliche Abschreckung vor Antragstellung (Entwürdigung und Erniedrigung; umfangreicher Antragsbogen; fehlerhafte Bescheide) bis hin zu Sperren bereits bei der verspäteten Antragstellung,
b) Zahlungsverzögerungen, offensive Nutzung von Sperren und kreative Herausforderung von Sperr-Gründen der Leistung (kurzfristige Vorladungen, Alkoholtests, Hausbesuche und telefonische Kontrollen etc.),
c) mittelfristige Absenkung von Alg I und v.a. Alg II durch Angebot des Zuverdienstes im 1-Euro-Job- und Niedriglohnbereich,
d) langfristige Lohnsenkung in allen Wirtschaftsbereichen durch Lohndumping der Maßnahmen, die wiederum eine Absenkung der Grundsicherung rechtfertigt (Lohnabstandsgebot).
Lohndumping und Niedriglohn als gewollte Effekte
1) Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland ist seit 1995 um gut 43 Prozent gestiegen. 6,5 Millionen Menschen, das sind 22 Prozent aller abhängig Beschäftigten, arbeiten für wenig Geld. Das zeigen aktuelle Untersuchungen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen auf Grundlage der Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) von 2006.
2) Nach der Einführung von Hartz IV im Januar 2005 erhielten knapp 290.000 Personen zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen noch staatliche Transferleistungen. Eineinhalb Jahre später war es bereits eine Million. Armutslöhne gibt es auch im öffentlichen Dienst. Etwa 13.000 Beschäftigte bezogen 2006 dort zusätzlich zu ihrem Gehalt Leistungen aus der Grundsicherung.
3) Die Nettoverdienste der Arbeitnehmer sind im Jahr 2006 auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken. Der durchschnittliche Netto-Monatslohn liegt demnach bei 1320 Euro. Der sogenannte Nettorealverdienst lag nach Abzug von Steuern, Sozialbeiträgen und bei Berücksichtigung der Preisentwicklung im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 15.845 Euro im Jahr – etwa so hoch wie 1986 mit damals 15.785 Euro.
4) Ausblick lt. IWF-Einkommenstudie: Lohnsteigerung in Deutschland besonders mickrig: „Deutschlands Arbeitnehmer dürfen nur mit einem minimalen Einkommensplus rechnen: Laut Internationalem Währungsfonds werden die Gehälter 2008 real nur um 1,1 Prozent steigen. Die Beschäftigten im übrigen Westeuropa erhalten im Schnitt 2,1 Prozent mehr – die in Indien sogar zehn Prozent mehr…“. Und: Lohn-Kaufkraft sinkt auch im Aufschwung…
Exkurs: Die Hartz-Gesetze
Das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen” (genannt „Hartz I“, seit 2003 in Kraft) wollte die Arbeitslosigkeit über eine Ausweitung der Zeitarbeit bekämpfen. Dazu wurden so genannte Personal-Service-Agenturen (PSA) als staatliche Sklavenhändler eingerichtet, die Arbeitslose einstellen, um sie dann zu verleihen. Doch nur die wenigsten PSA-Arbeitnehmer wurden vermittelt. Erstmals ist bei Hartz I ferner das Prinzip „Fördern und Fordern“ umgesetzt: Das Recht auf Unterstützung muss erarbeitet werden. Seitdem werden die Zumutbarkeitsregeln für die Aufnahme von Arbeit schärfer angewendet, nicht nur bei PSA.
Das „Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen”, (genannt „Hartz II“, seit 2003 in Kraft), beschäftigt sich mit sogenannten Mini-Jobs und Ich-AGs. Minijobs sind bis zu 400 Euro steuerfrei. Die Arbeitgeber müssen 25 Prozent Pauschalabgaben für die Sozialversicherung bezahlen (in Haushalten sogar nur 12%). In der Praxis müssen die Arbeitnehmer für wenig Geld viel arbeiten und davon auch noch ihre Sozialversicherungsabgaben finanzieren. Bei der Ich-AG erhalten Arbeitslose, die sich selbstständig machen, einen Zuschuss und Starthilfe. Statistisch betrachtet kommen beide Angebote an: Die Mini-Jobs haben sich sogar mit 7,6 Millionen zum erfolgreichsten Arbeitsmarktinstrument seit Jahren entwickelt. Die Zahl der Ich-AGs liegt bei knapp 150.000. Diese Flucht vor dem Druck der Arbeitsagenturen wird jedoch mit vorprogrammierter Altersarmut bezahlt und oft auf Kosten regulärer Beschäftigung realisiert.
Das „Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen” (genannt „Hartz III“, seit 2004 in Kraft) ordnete den Umbau der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit an, einer Mammut-Behörde mit 180 Arbeitsämtern, 600 Außenstellen und 90000 Mitarbeitern. Die nun „Bundesagentur für Arbeit“ genannte Verwaltung soll wie ein Unternehmen geführt werden, schlanker organisiert sein. Ein Betreuer soll sich theoretisch nur noch um wenige Arbeitslose kümmern und Erwerbslose – wohin auch immer – effizienter vermitteln. Doch das Personal ist gnadenlos überfordert und selbst voller Angst um den eigenen Arbeitsplatz.
Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen” (genannt „Hartz IV“, seit 2005 in Kraft) schliesslich dient dazu, die bisherige Arbeitslosenhilfe abzuschaffen und das „Arbeitslosengeld II“ (Alg II) einzuführen. Anspruch auf dieses Alg II (345€ im Westen und 331€ im Osten für Alleinstehende) haben erwerbsfähige Hilfebedürftige; nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten Sozialgeld (bisher Sozialhilfe). Anders als die Arbeitslosenhilfe orientiert sich das Alg II zudem nicht am früheren Lohn, sondern am zugestandenen Bedarf der Betroffenen, die in einem Haushalt zusammenleben — der so genannten Bedarfsgemeinschaft. Zu ihr zählen erwerbsfähige Hilfebedürftige, im Haushalt lebende Eltern, Partner — soweit das Paar nicht dauernd getrennt lebt — sowie minderjährige Kinder des Betroffenen oder des Partners. Alle Förderleistungen stehen im Ermessen der Behörde und erfolgen ohne Rechtsanspruch der Betroffenen. Das neue Gesetz bietet keine verbindlichen Angebote zur Qualifizierung von Arbeitslosen. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sind lediglich Ermessensleistungen ohne Rechtsanspruch vorgesehen – und die werden nur vergeben, wenn die Kassenlage es zulässt.
Mag Wompel ist Industriesoziologin und freie Journalistin, in Polen geboren, als Teenager über die Schweiz und etliche Stationen im Ruhrgebiet, Bochum, gelandet. Mitglied nationaler und internationaler Vernetzungsinitiativen kritischer/oppositioneller GewerkschafterInnen und Autorin industriesoziologischer und gewerkschafts- wie sozialpolitischer Veröffentlichungen. Verantwortliche Redakteurin des LabourNET Germany seit 1997.
Überblick zu den Hartz-Gesetzen
Dieser Text entstand auf Einladung des Symposium-Teams im Vorfeld des Symposiums im März 2008 und war allen Vortragenden und Diskutierenden vorab zugänglich.