(aus: Materialien zum Symposium State of the Art, Dezember 2008) Interview mit Wolfgang Kiffel, AMS-Landesgeschäftsstelle Wien
Die letzten Jahre haben zum Teil große Änderungen für jene gebracht, die Versicherungsleistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen mussten oder konnten ‒ sowohl aus legistischen, aber auch aus praktischen Gründen. Besonders betroffen waren jene, die schon immer ein potenzielles Problem mit der festen Einteilung der Erwerbstätigkeits-Formen in selbstständige und unselbstständige hatten, zum Beispiel KünstlerInnen.
Wolfgang Kiffel von der Landesgeschäftsstelle Wien des AMS hat im März 2008 auf Einladung des Kulturrat Österreich an der Arbeitstagung im Rahmen des Symposiums „State of the Art” teilgenommen und, ausgelöst durch Themenstellung und zwangsläufige Wissenslücken aufseiten der meisten anderen Teilnehmenden, den dritten und vor allem vierten Teil dieser Arbeitstagung mit Input bestritten ‒ zwangsläufig insofern, als ein guter Teil der Praxis des AMS durch interne und für die Betreuten nicht transparente Richtlinien vorgegeben wird, die außerdem nicht von allen BetreuerInnen gleich ausgelegt werden.
Im folgenden Interview spricht Wolfgang Kiffel zum einen über praktische und legistische Veränderungen, insbesondere auch zur mit 1.1.2009 möglichen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, und zum anderen über die Struktur und Probleme des AMS aus einer Innensicht, die viel zu selten berücksichtigt werden kann.
Clemens Christl (CC): Als erstes möchte ich Sie bitten, ihre Funktion im AMS Wien kurz vorzustellen. Was genau tun Sie, und gibt es ihre Position auch in anderen Landesgeschäftsstellen?
Wolfgang Kiffel (WK): Ich bin Mitarbeiter der Landesgeschäftstelle Wien, Abteilung Service für Arbeitskräfte. Mein Hauptaufgabengebiet liegt im Bereich der Arbeitslosenversicherung, insbesonders das Erarbeiten von Berichten, Vertretung des AMS in Verhandlungen mit Gebietskrankenkasse, Gewerkschaften etc., Information und Beratung von Firmen und deren MitarbeiterInnen vor Ort bei Stellenabbau, Konzeption und Weiterentwicklung von Controlling für den Bereich Service für Arbeitskräfte, KundInnenanfragen für den Fachbereich Arbeitslosenversicherung, Vortragstätigkeit intern und extern, als auch diverse Sonderaufgaben. Da mein Tätigkeitsbereich nicht direkt im Organisationskonzept beschrieben wird, ist anzunehmen, dass in anderen Landesorganisationen zwar diese Aufgaben auch ausgeübt werden, mitunter aber durch verschiedene Personen.
CC: In der Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (ALVG) 2007 wurde erstmals die explizite Möglichkeit eingebaut, sich auch als Selbstständiger gegen Arbeitslosigkeit versichern zu können. Was sind die Eckpunkte dieser Regelung, die ja nun im großen und ganzen mit 1.1.2009 in Kraft tritt?
WK: Mit 1.1.2009 wird das neue Modell der Arbeitslosenversicherung für Selbstständige in Kraft treten. Damit wird es künftig leichter sein, sozial zwischen unselbstständiger und selbstständiger Beschäftigung zu wechseln. Keine Änderung gibt es für Selbstständige, die vor dem 1.1.2009 sowohl Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung erworben haben, als auch Zeiträume einer krankenversicherungspflichtigen selbstständigen Tätigkeit aufweisen. Sie wahren ihre daraus erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld unbefristet. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, besteht im Anschluss auch Anspruch auf Notstandshilfe.
Ab 1.1.2009 können sich alle Selbstständigen bei der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versichern lassen. Dabei gelten für den Abschluss der freiwilligen Arbeitslosenversicherung bestimmte Fristen für die Selbständigen:
- Personen mit Beginn der selbständigen Tätigkeit vor dem 1.1.2009 können sich im gesamten Jahr 2009 zur Arbeitslosenversicherung anmelden.
- Personen mit Beginn der selbständigen Tätigkeit ab 1.1.2009 können innerhalb von 6 Monaten ab Verständigung durch die SVA zur Arbeitslosenversicherung anmelden.
- Erfolgt der Eintritt innerhalb der ersten drei Monate ab dem Zugang der Verständigung, so beginnt die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung rückwirkend mit dem ersten Tag des Kalendermonats der Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit (frühestens aber mit 01.01.2009). Zur Begrenzung des Verwaltungsaufwandes und zur Vermeidung von Spekulationsmöglichkeiten soll ein späterer Eintritt, aber noch innerhalb der möglichen Fristen, mit Beginn des folgenden Kalendermonats wirksam werden.
- Der Eintritt in die Arbeitslosenversicherung ist für acht Jahre, gerechnet ab dem Beginn der Einbeziehung in die Versicherungspflicht, bindend. Mit Ablauf des achtjährigen Bindungszeitraumes kann innerhalb von sechs Monaten der Austritt der Arbeitsloenversicherung erklärt werden. Wird dieser nicht (rechtzeitig) erklärt, besteht die Versicherung für weiter acht Jahre.
- Personen, die während der oa. Fristen den Eintritt in die Arbeitslosenversicherung nicht in Anspruch nehmen, haben frühestens nach acht Jahren die Möglichkeit, wieder in die Arbeitslosenversicherung einbezogen zu werden.
Selbständige haben die Wahl zwischen drei fixen monatlichen Beitragsgrundlagen. Die Beitragsgrundlage beträgt je nach Wahl ein Viertel, die Hälfte oder drei Viertel der Höchstbeitragsgrundlage nach dem GSVG, der Beitragsatz macht 6 Prozent aus, d.h monatlicher Beitrag € 70,35, € 140,70 oder € 211,05 (Zahlenwerte auf Basis 2009). Zeiten einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung werden auf die Anwartschaft nur angerechnet, wenn der Beitrag entrichtet wurde.
CC: Der Gesetzestext zu dieser Änderung ist nicht wirklich realitätstauglich. Gibt es mittlerweile Durchführungsbestimmungen, und inwieweit lassen diese schon im Vorfeld eine Umgangsweise des AMS vorhersagen?
WK: Aus Sicht des AMS Wien eröffnet der Gesetzgeber selbstständig Erwerbstätigen eine Möglichkeit, die sie nutzen können. Die Durchführungsweisung zu den Neuerungen ab 1.1.2009 wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bereits übermittelt.
CC: Wie wird das AMS mit der enthaltenen Klausel der Berufsaufgabe als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen nach dem ALVG umgehen? Müssen gegen Arbeitslosigkeit versicherte selbstständig arbeitende KünstlerInnen in Zukunft schwören, nie wieder künstlerisch tätig zu sein?
WK: Die Einbeziehung selbstständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung erforderte auch eine neue Definition der Arbeitslosigkeit. Es kann nicht mehr ausschließlich auf die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses abgestellt werden, sondern es muss jede Beendigung einer selbstständigen oder unselbstständigen Beschäftigung erfasst werden. Wie bisher soll eine andere geringfügige selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegenstehen, soweit dadurch die Verfügbarkeit nicht beeinträchtigt ist. Die entsprechende Regelung bleibt unverändert. Die für die Arbeitslosenversicherung maßgebliche versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit muss jedoch eingestellt und nicht nur reduziert werden. Andernfalls liegt keine Arbeitslosigkeit vor. Das heißt aber nicht, dass KünstlerInnen nie wieder selbstständig künstlerisch tätig sein dürfen. Für das laufende Kalenderjahr wird jedoch ab 1.1.2009 auch bei vorübergehend selbstständig Erwerbstätigen nur ein Anspruch auf Leistungen möglich sein, wenn das Jahreseinkommen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht das zwölffache der Geringfügigkeitsgrenze übersteigt.
CC: Das AMS war ja auch bisher in vielfältiger Hinsicht Anlaufstelle für vorübergehend Erwerbslose, die zumindest einen Teil ihrer Einkünfte aus (schein)selbstständigen Tätigkeiten erwirtschafteten. Wie sehen die bisherigen Regeln im Umgang mit Anspruchnehmenden des ALVG aus, die im Rahmen der Zuverdienstgrenzen zum Beispiel auf Honorarnotenbasis arbeiten?
WK: Im Prinzip gibt es keine Änderung für jene Personen, deren Jahreseinkommen nicht das zwölffache der Gerinfügigkeitsgrenze übersteigt.
CC: Welche Möglichkeiten gibt es, den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten, wenn zum Beispiel eine Person in einer dreimontaigen Phase der Arbeitslosigkeit einen kleinen Nebenjob ausübt, die Bezahlung aber im Ganzen über eine Honorarnote erfolgt, deren Wert über der monatlichen Zuverdienstgrenze liegt?
WK: Wenn das durchschnittliche Monatseinkommen für den Tätigkeitszeitraum über der Geringfügigkeitsgrenze liegt, liegt Arbeitslosigkeit während der Tätigkeit nicht vor und deshalb besteht auch kein Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Das ist keine Änderung zu der bestehenden Gesetzeslage. Ab 1.1.2009 wird die Frist für den Fortbezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe von drei auf fünf Jahre angehoben.
CC: Gibt es im AMS eine Umgangsweise mit dem Faktum, dass einzelne BetreuerInnen nicht immer alle internen Richtlinien parat haben und zum Beispiel im Einzelfall Möglichkeiten wie die oben Erwähnte mit der Aufteilung eines Honorars auf die tatsächliche Arbeitszeit ablehnen?
WK: Einerseits werden laufend Leistungsakte stichprobenartig überprüft. Dies geschieht nach dem Zufallsprinzip (Geschäftsfälle werden automatisert von der EDV ausgewählt) im Rahmen der Fachkontrolle durch die MitarbeiterInnen der zuständigen Fachabteilung der Landesgeschäftsstelle, die die Einhaltung der gültigen Normen (Gesetze, Erlässe und AMS-Richtlinien) überprüfen. Dadurch soll die Sicherstellung ansprechend hoher Qualitätsstandards, aber auch das Erkennen und Beheben von Schwachstellen ermöglicht werden. Andererseits versuche auch ich, durch meine Kontakte mit den KünstlerInnen im Rahmen meiner Vortragstätigkeiten Ursachen vorhandener Schwächen aufzuzeigen und entsprechende Gegensteuerungsmaßnahmen einzuleiten.
CC: Gibt es zum Beispiel Infomationsstellen für LeistungsbezieherInnen, in denen Beschwerden gesammelt und mit unterstützenden Antworten – auch gegenüber den einzelnen BetreuerInnen – versorgt werden?
WK: Allgemeine Anfragen zu unserem Dienstleistungsangebot – wie die Jobsuche, Förderungen, Leistungsfragen usw. – sind an die Regionalen Geschäftsstellen zu richten. Die Berarbeitung von KundInnenreaktionen und Beschwerden werden durch die vier Ombudsleute in der Landesgeschäftsstelle durchgeführt.
CC: Wieso gibt es Ihrer Einschätzung nach in einer offiziellen Stelle wie dem AMS interne Richtlinien, die für Erwerbsarbeitslose, die eine Versicherungsleistung in Anspruch nehmen, vorderhand geheim bleiben sollen?
WK: Beim AMS ist nichts geheim, die Regionalen Geschäftsstellen, das Team 4 und ich versuchen bei diesem komplexen Thema zu helfen. Die Richtlinien und Dienstanweisungen sind die gesetzeskonformen Umsetzungsregelungen speziell für die MitarbeiterInnen im Kundenverkehr.
CC: Die letzte ALVG-Novelle brachte auch massive Änderungen für die AMS-Vergabe von Fortbildungsmaßnahmen bzw. Bewerbungskursen. In dem entsprechenden Paragraphen wird auf noch zu erstellende Qualitätskriterien für externe Institute verwiesen, die zukünftig als Arbeitsmaßnahme gelten sollen. Gibt es diesen Kriterienkatalog mittlerweile?
WK: Ja.
CC: Wie stehen Sie zu der Änderung, nach der selbst Bewerbungstrainings AMS-seits als anzunehmende Arbeit bei sonstiger Sperre aufgrund Arbeitsunwilligkeit gelten können, ohne dem Arbeitsrecht zu unterliegen?
WK: Das Bewerbungstraining soll die erfolgreiche Arbeitsaufnahme unterstützen.
CC: Die im Februar 2008 erschienene Richtlinie für den „Kernprozess Arbeitskräfte unterstützen” enthält offenbar Probleme für ausgegliederte AMS-Institutionen wie das KünstlerInnenservice Team4. Was genau steht da diesbezüglich drinnen?
WK: Mit dieser Richtlinie wird geregelt, für welche Zielgruppen bzw. bei welchen Problemlagen das AMS Beratungsleistungen zukaufen darf.
CC: Das Team4 ist ja nicht die einzige branchenspezifische Betreuungseinheit für LeistungsbezieherInnen aus dem ALVG. Für welche anderen Berufsgruppen gibt es Vergleichbares oder zumindest Ähnliches (SportlerInnen, NotarInnen, …)? Und wie sieht dort die aktuelle Lage aus?
WK: Branchenbezogene Betreuungseinrichtungen gibt es nur wenige, so etwa für JungakademikerInnen oder Führungskräfte, die meisten externen Betreuungseinrichtungen gibt es für die Betreuung von folgenden Personengruppen, wie z.B. für Migranten und Migrantinnen, Ältere, Frauen, Langzeitarbeitslose, Personen mit Behinderung oder mit Alkohol- und Drogenproblemen.
CC: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wohin geht die Zukunft des AMS in Österreich? Wird es in näherer Zukunft eher Entlastungen für Erwerbsarbeitslose (Stichwort Erhöhung der Nettoersatzrate oder Verbesserung der Zumutbarkeitsbestimmungen für LeistungsbezieherInnen) oder eher weitere Verschärfungen geben (Stichwort Kopfs Forderung nach Ausbau der zwangsweisen Arbeit im öffentlichen Interesse)?
WK: Aus unserer Sicht gibt es keine Verschärfungen. Unsere Gesetze formulieren Bedingungen, die Voraussetzungen für Leistungen sind. Da die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dem Versicherungsprinzip unterliegen, sind sowohl der Gesetzgeber als auch das AMS immer bemüht, die zu verwaltenden Beiträge im Sinne der Versicherungsgemeinschaft bedarfsbezogen einzusetzen.
CC: Herzlichen Dank für das Interview
Ein Informationsblatt der SVA zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige ist auf der Website der SVA zu finden.
Ein Informationsblatt zur bis dato noch geltenden „Regelung“ von AMS-Gemeldeten vorübergehend Selbstständigen ist bei der IG Freie Theaterarbeit online .