À la longue wird sie kommen!
Clemens Christl
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Zu diesem Ergebnis kam Ursula Sedlaczek, Direktorin der Austro Mechana, am Ende der dritten Veranstaltung 2009 in der Reihe „Tatort Kulturpolitik“ des Kulturrat Österreich. Diese doch etwas überraschende Ansage – Verwertungsgesellschaften sind nicht unbedingt bekannt dafür, punkto UrheberInnenrecht neue Wege zu beschreiten – kennzeichnet aber auch ein Problem: Wer akzeptiert, dass etwas kommen wird, kann entweder warten, bis es passiert, oder selbst an der Gestaltung mitarbeiten. Letzteres produziert wohl die besseren Ergebnisse. Aber der Reihe nach:
Neben Ursula Sedlaczek als Vertreterin der sich anbietenden TrägerInnenverbände einer Kulturflatrate, der Verwertungsgesellschaften waren eingeladen: Silke von Lewinski, Urheberrechtsjuristin aus München, Mitherausgeberin des Kommentars zum europäischen UrheberInnenrecht und eine der ArchitektInnen der entsprechenden EU-Richtlinien der EU-Kommission, und Felix Stalder, Medienwissenschaftler, der zurzeit vor allem in Wien, Zürich und New York forscht und in Zürich auch unterrichtet. Geleitet wurde die Diskussion von Elisabeth Mayerhofer (Fokus – Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien).
Der Ausgangspunkt in der Planung der Veranstaltung durch den Kulturrat Österreich war eine klassische Doppelmühle: zum einen die Debatte unter den Mitgliedsverbänden, die zwischen dem Pochen auf historisch gewachsene UrheberInnenrechte und der Verschränkung mit Informationsfreiheiten stockt, und zum anderen die akuten Probleme des UrheberInnenrechts für KünstlerInnen selbst, d.h. die Verringerung der Einnahmen, Rechtsprobleme mit Techniken des Remixing, die Entwicklung in der Geldverteilung (von den KünstlerInnen zur Industrie) und selbstverständlich die Folgen der Digitalisierung – die potenzielle Verfügbarkeit aller digitalisierbaren Werke quer zu bisherigen Abgeltungsmechanismen. Die Kultur-Flatrate bot sich hier aus verschiedenen Perspektiven als Diskussionsthema an, nicht nur, weil sie konzeptuell Antworten auf zumindest einen Teilbereich der aktuellen urheberrechtlichen Probleme bieten kann, sondern auch, weil sie perspektivisch die Diskussionen zum Thema teilt und im Einzelnen produktiv werden lassen könnte.
Letzteres skizzierte zunächst Felix Stalder in seinem Eröffnungsstatement: Das UrheberInnenrecht besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: den moralischen Rechten (Namensnennung respektive Schutz der Werkintegrität) und der ökonomischen Wertschöpfung. Die Einführung einer Kultur-Flatrate betrifft nur zweites und ist im Grunde nicht mehr als eine Ausweitung der Leerkassettenvergütung im Bereich des Internet zugunsten der ökonomischen Abschöpfung für UrheberInnen. Im Unterschied zu den Alternativen, d.h. entweder einer Ausweitung repressiver Maßnahmen gegenüber KonsumentInnen oder einer Remonopolisierung der Vergütungsmöglichkeiten bei der Industrie, bietet die Einführung einer Kultur-Flatrate potenziell Möglichkeiten des zusätzlichen Generierens von Einkommen aufseiten der UrheberInnen. Zentrale Diskussionspunkte auf dem Weg zu einer Kultur-Flatrate sind allerdings noch offen: Zum einen die Situierung der Verteilung (Verwertungsgesellschaften oder etwas Eigenständiges), zum anderen die Problematik der Netzüberwachung: Wie kann eine Abrechnung der Kultur-Faltrate so gestaltet werden, dass nicht zugleich ein neues Überwachungstool geschaffen wird.
Silke von Lewinski nahm die Diskrepanz zwischen UrheberInnenrechten und Durchsetzung zum Ausgangspunkt: Problemlösungsansätze in der Vergangenheit (technischer Schutz von Werken; Versuch, NutzerInnen haftbar zu machen; Versuch DienstleisterInnen, z.B. Napster, haftbar zu machen) haben mangels Popularität nicht funktioniert. Jüngst erfreut sich daher die Idee einer Pauschalabgeltung, wie sie die Kultur-Flatrate darstellt, einer gewissen Beliebtheit. Juristisch beschrieb Lewinski die Angelegenheit allerdings als reichlich kompliziert und in der üblicherweise diskutierten Lösung einer gesetzlichen Lizenz nicht kompatibel mit den internationalen Vorschriften (u.a. WIPO-Verträge), insbesondere dem sog. Drei-Stufen-Test. Dieser beschreibt die drei Bedingungen für erlaubte Schranken im Urheberrecht, d.h. unter welchen Bedingungen Einschränkungen des Urheberrechts gesetzlich erlassen werden dürfen (muss genau beschrieben werden, Verwertungsmöglichkeit muss bestehen bleiben, darf den Interessen der UrheberInnen nicht entgegenstehen). Da bei einer gesetzlichen Lizenz die UrheberInnen selbst keine Möglichkeit haben, die Lizenz einzuräumen, sondern nur noch eine Vergütung bekommen, würde diese Lösung den Drei-Stufen-Test daher nicht bestehen. Für juristisch machbarer hält Lewinski die Wahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften, da hier die UrheberInnen immerhin die Wahl haben, die Verwertungsgesellschaft mit der Wahrnehmung ihrer Rechte zu betrauen, wenn sie auch anschließend selbst nicht mehr über diese Rechte verfügen können. Die offene Frage ist hier, wer für die Verwertung bezahlen soll, an wen sich die Verwertungsgesellschaft als VerhandlungspartnerIn wenden kann.
Ursula Sedlaczek nutzte ihr Statement zunächst, um zentrale Grundlagen des Verwertungsgesellschaften-Modells nachzuzeichnen, die ihrer Ansicht nach in der Debatte um eine Pauschalabgeltung oft zu kurz kommen: Die zentrale Idee ist nicht die einer Verteilungsgesellschaft, sondern jene der Verteilungsgenauigkeit. Und das zentrale Problem besteht in der zunehmenden Verringerung der Einnahmen aus Verwertungen in Verbindung mit dem ständigen Wachsen der notwendigen Dokumentationsinstrumente, also der Verwaltungskosten. Einer technischen Umsetzung der Kultur-Flatrate durch Verwertungsgesellschaften stünde nichts entgegen (u. a. zeigen Datenerhebungen, dass die Online-Nutzung den analogen Markt ziemlich exakt abbildet). Sedlaczek befürchtet aber vor allem die Entstehung einer nicht-adäquaten Einnahmequelle: Die „Büchse der Pandora“ sollte so lange wie möglich geschlossen bleiben, der Fokus sollte auf der Rechtsdurchsetzung online liegen.
In der Folge entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die allerdings schnell in Positionierungen analog der bekannten Pole kippte. Zentrale Punkte ergaben sich aus der Büchse der Pandora – die als Bild insofern versagte, weil sie längst offen ist – sowie aus dem Problem der Rechtedurchsetzung, auch im Hinblick auf grundrechtliche Fragen: Sind Vorratsdatenspeicherung, Datenschutzrechte oder der Zugang zu Information (Stichwort „three strikes“) grundrechtlich zu debattieren, oder gilt nur das Recht der UrheberInnen als Maßstab? Ist die Kultur-Flatrate eine Resignationssteuer oder ein selbstbestimmbares Finanzierungstool? Gibt es Alternativen zur Einführung einer Kultur-Flatrate, ist die normative Kraft des Faktischen zu stoppen – und wenn ja, wodurch?
Felix Stalder benannte in seinen Schlussworten zwei Alternativen: Bewusstseinsarbeit oder die Vergrößerung des Arsenals des Schreckens. Ersteres hielt er angesichts der Lage für aussichtslos, zweites für höchst bedenklich. Er plädierte für die umgehende Aufnahme der Arbeit an einem umsetzbaren Modell der Kultur-Flatrate. Ursula Sedlaczek resümierte hingegen mit einem Statement zugunsten der Durchsetzung der aktuellen Rechtslage: Eine Kultur-Faltrate sei so lange es geht zu verhindern – auch wenn sie à la longue kommen werde. Silke von Lewinski schloss sich in diesem Punkt Sedlaczek an: Eine gesetzliche Lizenz bringe nur Vergütung, die Rechte blieben auf der Strecke.
(Dezember 2009)