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Editorial

  • von

Kulturrat Österreich, Februar 2012

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Arbeitslosigkeit und der Weg zum Arbeitsamt (jetzt Arbeitsmarktservice/AMS) sind schon lange ein fester Bestandteil jener Lebensbiografien, die durch unterschiedliche, kurzfristig wechselnde Beschäftigungen geprägt sind. Kunstschaffende sind durch die spezifische Struktur ihrer Arbeitsbedingungen immer schon eine zentrale Klientel in diesem Spektrum – allerdings wird es immer schwieriger für sie, die Voraussetzungen für einen Bezug von Arbeitslosengeld zu erfüllen.

Die soziale Lage von Kunstschaffenden wurde seit dem Beginn sozialstaatlicher Verrechtlichung über Jahrzehnte hinweg relativ wenig wahrgenommen. Der Um- und Abbau sozialer Sicherungssysteme der vergangenen Jahrzehnte bringt nun konsequenterweise als Erstes jene in Bedrängnis, die schon zuvor nur marginal abgesichert waren. Die spezifischen Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden (hoher Identifikationsgrad und großes Engagement im Zusammenwirken mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen, kombiniert mit geringer sozialer Absicherung) wirken wie ein historischer Vorgriff auf die aktuelle Flexibilisierung von Beschäftigungsformen und -verträgen sowie die Erosion sozialer Absicherung in wachsenden Teilen der Gesellschaft. Spezifische Regelungen für Kunstschaffende wurden von der Politik immer wieder gegen allgemein notwendige Maßnahmen und Forderungen abgewogen und fielen im Resultat oft zuungunsten der KünstlerInnen aus.

Die letzte große Novelle der Arbeitslosenversicherung aus dem Jahr 2007 (in Kraft seit 1. 1. 2008, die im Folgenden entscheidenderen Teile seit 1. 1. 2009) war offiziell von zwei Intentionen bestimmt: der schnelleren Wiedereingliederung der Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt und dem Einbeziehen von „neuen“ Beschäftigungsformen in die Arbeitslosenversicherung. Während Ersteres trotz deutlicher Verschärfungen für die Betroffenen zu keiner Verringerung der Arbeitslosenzahlen führte – wie vorherzusehen gewesen war –, ist Letzteres aufgrund eines prinzipiellen Missverständnisses als weitgehend gescheitert anzusehen: „Neue“ Arbeitsformen zeichnen sich in der Praxis vor allem dadurch aus, dass ein und dieselbe Person verschiedenartige Beschäftigungsverhältnisse hat, also zum Beispiel einmal angestellt, darüber hinaus vielleicht geringfügig beschäftigt ist, hier auf Werkvertrags- und dort auf freier Dienstvertragsbasis arbeitet. Die Novelle jedoch geht von der Annahme chronologisch gegeneinander abgrenzbarer Arbeitsformen aus. An die Kombinierbarkeit oder Kompatibilität verschiedenartiger Arbeitsverhältnisse wurde dabei nicht gedacht. Das hat zur Folge, dass verschiedenartige Arbeitsverhältnisse oft nur schwer miteinander zu vereinbaren sind bzw. es durch die Kombination faktisch oft zum Ausschluss der Betroffenen aus den sozialen Sicherungssystemen kommt: Wer ein selbstständiges Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze hat, bleibt trotz eventueller Ansprüche oft von der Möglichkeit eines Bezugs von Arbeitslosengeld ausgeschlossen; wer zu wenig aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit verdient, kann im Bereich der Kunst keine Zuschüsse des KünstlerInnen-Sozialversicherungsfonds (KSVF) bekommen.

Der Kulturrat Österreich und die darin zusammengeschlossenen Interessenvertretungen fordern bereits seit Bekanntwerden der AlVG-Novelle 2007 eine grundlegende Überarbeitung und hoffen einen politischen Raum schaffen zu können, in dem sich sowohl reale Verbesserungen durchsetzen lassen, als auch der Horizont des Denkbaren erweitert wird.

Ein großer Stolperstein hierbei ist die fehlende oder mangelhafte Information: Die Divergenz zwischen politischen Vorgaben, rechtlichen Bedingungen und vollzogener Praxis bewirkt seit Jahren ein Klima der Irritation aufseiten der Betroffenen. Dort, wo korrekte Information möglich wäre – z. B. bezüglich der Kompatibilität von Arbeitslosengeldanspruch und selbstständigen Tätigkeiten –, ist das institutionelle Wissen mangels Erfahrung lückenhaft und die komplexen Sachverhalte werden entsprechend unzureichend nach außen kommuniziert.

Die Broschüre, die Sie nun überarbeitet und ergänzt in der 3. Ausgabe in Händen halten, verfolgt das Ziel einer verbesserten Aufklärung und Informationsverbreitung im Sinne einer neuen Transparenz: Die zuständigen Abteilungen in AMS, Sozialministerium (bm:ask) und Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) waren daran interessiert, sich mit uns über unterschiedliche Praxen auszutauschen, und haben dankenswerterweise die Erstellung dieser Broschüre mit Sachauskünften unterstützt – ein wesentlicher Teil der nachfolgenden Informationen beruht auf diesem Austausch. Die Broschüre richtet sich sowohl an die Versicherten als auch an die MitarbeiterInnen des AMS. Das bm:ask als unmittelbar dem AMS übergeordnete Institution hat den Informationsteil (einschließlich der Beispiele) auf rechtliche Korrektheit geprüft (Stand Februar 2012) – siehe den nebenstehenden Vermerk. Das bm:ask und das Kulturministerium (bm:ukk) haben sowohl die drei Ausgaben der Broschüre als auch die dazugehörigen bisherigen Infotouren des Kulturrat Österreich finanziert, die aktuelle Infotour im Frühjahr 2012 wird tatsächlich auch vom KSVF finanziell unterstützt. Nicht zuletzt war das Entstehen dieser Broschüre nur durch auch unbezahlte Mitarbeit der Redaktion möglich. Unser Dank gilt ebenso den TestleserInnen dieser Broschüre, die uns mit konstruktiver Kritik in unserem Bemühen um eine verständliche Vermittlung der komplexen Inhalte unterstützt haben.

Durch die vorliegende Broschüre wird der politische Prozess der Aushandlung besserer Arbeitsbedingungen nicht ersetzt. Wir hoffen jedoch auf eine sachliche Klärung der sozialrechtlichen Situation auch von eher seltenen und komplizierten Fällen und insgesamt auf eine verbesserte Praxis – nicht nur für Kunstschaffende. Wir arbeiten weiter daran …

Änderungen in der dritten Ausgabe, Februar 2012

Die zweite Hälfte 2010 sowie das Jahr 2011 brachten zahlreiche kleinere und größere Änderungen im sozialen Sicherungsnetz. Die für diese Broschüre prominenteste Änderung ist sicherlich die Einführung der Möglichkeit für Kunstschaffende, als sogenannte Neue Selbstständige ihre selbstständige künstlerische Tätigkeit „ruhend zu melden“ (seit 1. 1. 2011). Trotz der in ihrer jetzigen Form geringen Reichweite der gesetzlichen Maßnahme ist ein ausführlicher Infoteil diesem neuen System vor allem aufgrund der darin enthaltenen Fallstricke gewidmet (>> System Ruhendmeldung >> in Info 4).

Durch zahlreiche Rückfragen zur Thematik motiviert, haben wir dem Thema Sozialversicherung einen eigenen Infoteil gewidmet (Info 3) – der Themenblock „Selbstständig und erwerbslos“ trägt nun die Nummer vier (Info 4).

Zusätzlich gibt es Basisinformationen zur neu eingeführten Regelung der Mindestsicherung und eine erste Einarbeitung der zum Redaktionsschluss noch gänzlich neuen Weisungslage zu Neuen Selbstständigen in der SVA. Eine ausführlichere Darstellung hierzu folgt online.


Impressum

Medieninhaberin, Verlegerin, Herausgeberin: Kulturrat Österreich

Redaktion: Clemens Christl (Koordination und Recherche), Sabine Kock, Maria Anna Kollmann, Daniela Koweindl, Sabine Prokop, Brigitte Rapp

Mitarbeit/TestleserInnen: Zuzana Brejcha, Markus Griesser, Nadja Grössing, Karina Ressler, Angelika Schuster, Andrea Wälzl

Lektorat: Sabine Prokop, Brigitte Rapp

Grafische Gestaltung: Jo Schmeiser

Erscheinungsort: Wien
3. Ausgabe, Februar 2012

Kontakt Redaktion
Kulturrat Österreich
Bürogemeinschaft
Gumpendorfer Straße 63b
A 1060 Wien
www.kulturrat.at


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